Varano (Italien), 4. Dezember 2014
Das hier ist so verrückt und so weit weg von jeglicher Gleichteilestrategie, dass sich der durchschnittliche VW-Controller sofort und freiwillig einen Kopfschuss verpassen würde. Es kann folglich nur aus Italien kommen. Dieses Ding ist so ziemlich der unsinnigste Kleinwagen seit dem seligen Renault Clio V6. Und er ist fantastisch. Sagen Sie Hallo zum Abarth 695 Biposto.
Unter 1.000 Kilo
Viel näher als im Biposto werden Sie einem echten Cuprennwagen nicht kommen. Schließlich stand Abarths Assetto-Corse-Rennauto Pate. Und zur Abwechslung steht das nicht nur im Prospekt, unsere italienischen Freunde meinen das wirklich so. Deswegen hat der Biposto keine Rückbank (Biposto heißt nichts anderes als Zweisitzer, das mit der Rückbank bot sich also an), keine Klimaanlage, kein Radio und keine Xenon- oder Nebelscheinwerfer. Dafür gibt es innen wie außen bemerkenswert viel Carbon oder exotisches Zeug wie Verstrebungen aus Titan. Abarth war im Weglassen so gut, dass der kleine Teufel nun unter 1.000 Kilo wiegt. Das sind knapp 60 Kilo weniger als beim Standard-Abarth-500.
Motor aus dem Rennauto
Um die Folgen der Diät noch ein wenig radikaler zur Geltung zu bringen, hat man aber auch den 1,4-Liter-Turbomotor zum Nachsitzen geschickt. Er ist jetzt nahezu identisch mit dem Renntriebwerk des Assetto Corse, sprich: Ein wenig mehr Ladedruck, ein neuer Ladeluftkühler, eine Carbon-Airbox sowie ein sehr schicker Klappen-Auspuff von Akrapovic und schwupps, sind wir bei 190 PS. Bisher lag die Topleistung des Abarth-T-Jet-Aggregats zwischen 135 und 180 PS. Das Drehmoment bleibt mit 250 Newtonmeter gleich. Der Biposto protzt mit einem Leistungsgewicht von 5,2 Kilo pro PS und soll den Null-auf-100-km/h-Sprint in 5,9 Sekunden abspulen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 230 km/h. Noch nicht besonders genug? Warten Sie ab – die richtig guten Sachen kommen noch!
Erstes Serienauto mit Klauengetriebe
Wie Abarths Rennwagen vertraut der Biposto nämlich auf ein höhenverstellbares Sportfahrwerk und – jetzt wird es richtig wild – ein Dog-Ring-Getriebe. Dog was? Im Prinzip eine Schaltbox ohne Synchronisation. Statt Synchronringen an den einzelnen Gangrädern gibt es hier Klauen, die aussehen wie der Inhalt einer Dose Frolic (daher der Name Dog-Ring). Keine Synchronringe, schnelleres Schalten. Und das zur Not auch ohne Kupplung – kostet schließlich ganz schön Zeit, dieses blöde Kuppeln. Im Rennsport funktionieren diese Getriebe sequentiell, Abarth entschied sich jedoch für eine “normalere” Konstruktion mit H-Muster. Nur im Verbund mit dem optionalen und – mit Verlaub – schweineteuren Dog-Ring-Getriebe wandern dazu eine verstärkte Kupplung mit leichterem Schwungrad und – ganz wichtig – ein mechanisches Vorderachs-Sperrdifferenzial in den Biposto. Es ist das erste Mal, dass jemand so verrückt ist, ein derartiges Getriebe in ein Serienauto zu verpflanzen. Und weil Abarth das mit den Premieren ganz toll findet, bietet man erstmals auch ultraleichte Fensterscheiben aus Polycarbonat an, inklusive extrem rennmäßigem Schiebeschlitz. Wenn Sie weniger verrückt sind, kriegen Sie den Biposto aber auch mit einem stinknormalen Fünfgang-Getriebe und ganz profanen Glasscheiben.
Eine Farbe, ein Innenraum
Sie sehen schon, die Auflistung der Änderungen zieht sich. Wir haben es aber gleich geschafft: Ebenfalls neu sind eine breitere Spur an beiden Achsen, Kotflügelverbreiterungen, die die breitere Spur bedecken, sowie ein Satz federleichter OZ-18-Zoll-Räder und größere Brembo-Bremsen. Die inneren Türabdeckungen sind auf Wunsch eine dünne Schicht Carbon mit Schlaufen statt Türgriffen, man sitzt auf Sabelt-Rennschalen und bettet seine Füße auf liebevoll zurechtgeschnitteten Aluplatten. Wenn man das Bedürfnis hat, sich von Vierpunktgurten einschnüren zu lassen, kann man das ebenfalls tun. Weniger Auswahl hat man bei der Farbgestaltung. Es gibt genau eine: Außen mattgrau, innen titan.
Motor hat leichtes Spiel
Nach dieser ellenlangen Auflistung an Besonderheiten und Kuriositäten waren wir, wenig überraschend, ziemlich neugierig, wie sich der Abarth 695 Biposto denn so anfühlt. Um das besondere Fahrgefühl noch ein wenig besonderer zu machen, schickte uns der Wettergott allerdings einen sehr unschönen, nasskalten Dauerniesel zur Rennstrecke im nahe Parma gelegenen Varano. Ein abschließendes Urteil darüber, ob der Biposto den Rest der Rennsemmel-Welt in Schutt und Asche legt, muss also leider ein anderes Mal gefällt werden. Auffällig ist, dass der frisierte Turbomotor extrem leichtes Spiel mit den 997 Kilo Lebendgewicht hat und in allen Lagen verdammt stramm im Futter steht. Dabei klingt er im Stand und unten heraus wie ein rülpsender Gorilla (das ist nett gemeint). Später wird der Gorilla zu einem infernalischen Turbo-Pfeifen, so als würde man unter einem sehr großen Föhn stehen.
Fliegendes Heck
Wir sind anfangs im “normalen” 695 Biposto unterwegs. Normal heißt in diesem Fall Fünfgang-Schaltgetriebe und elektronisches Sperrdifferenzial. Wie erwartet, lenkt der kleine Haudrauf sehr agil ein, mit einer angenehm schweren, wenn auch wie bisher eher gefühllosen Lenkung. Überraschend kommod haben die Ingenieure das Fahrwerk abgestimmt, zumindest in der normalen Stufe. Für den Rest ist dank Einstellungsmöglichkeit dann jeder selbst verantwortlich. Die Schaltung ist etwas weich und will nicht so recht zu dem “Rennwagen” Biposto passen. Sportlicher ist da schon das permanent fliegende Heck, das sich aus der Mischung von extrem kurzem Radstand und extrem nasser Strecke ergibt. Das mit Bremseingriffen arbeitende Differenzial gibt sich alle Mühe, dennoch bleibt das Vorankommen auf dem seifigen Untergrund schwierig.
Rennsport-Getriebe ist eine Sensation
Umso schöner ist es, dass der Wechsel auf einen Biposto mit Dog-Ring-Getriebe einer Offenbarung gleichkommt. Eine knappe Runde muss man sich daran gewöhnen, dass die Schaltwege wirklich so kurz sind, dann zündet die Klauenbox ein einziges Gangwechsel-Feuerwerk. Obwohl uns mit Verweis auf die Haltbarkeit empfohlen wurde zu kuppeln, geht jeder Schaltvorgang gefühlt drei Mal so schnell vonstatten. Einbußen in Form von grobschlächtigen Geräuschen oder harten Schlägen gibt es nicht. Natürlich verwandelt auch das mechanische Sperrdifferenzial die Fahreigenschaften des Autos gewaltig. Sogar bei diesen Bedingungen spürt man deutlich mehr Traktion beim Herausbeschleunigen aus der Kurve. Richtig einschätzen können wir die Gripverhältnisse des Mini-Supercars aber noch nicht. Bei dem Aufwand, den Abarth betrieben hat, mag diese Aussage komisch erscheinen, aber erst mit der Dog-Box und der mechanischen Sperre fühlt sich der so arg spezielle Biposto wirklich speziell an. Apropos: Einen faden Beigeschmack hinterlässt das nicht abschaltbare ESP, das zumindest im Regen mit harter Hand regelte. Ob es bei Trockenheit weniger strikt ist, wissen wir natürlich nicht. Zu einem radikalen Sportgerät wie dem Biposto mag diese Restriktion aber nicht so recht passen.
Fast so teuer wie ein BMW M4
Und trotzdem: Der Abarth 695 Biposto ist ein sehr fähiges, sehr schnelles und sehr spaßiges Spielzeug. Mit Ausstattungen und Materialien, die man in dieser und wohl auch der nächsthöheren Klasse nicht mal ansatzweise finden wird. Dieser Umstand schafft eine zumindest etwas sanftere Überleitung zum Preis. Der liegt bei 39.900 Euro. Und nur, dass wir uns richtig verstehen – das ganze irre Zeug ist da noch nicht inbegriffen. Jetzt also bitte gut festhalten: Das Dog-Ring-Getriebe kostet 10.000 Euro, die leichten Racing-Fenster liegen bei 2.500 Euro. Und wenn Sie das sogenannte “Kit Carbonio” wollen (unter anderem Armaturenbrett-Blenden, Türverkleidungen), dann kostet Sie das weitere 5.000 Euro. Außerdem gibt es noch ein “Kit Pista” mit Datalogger, den Renngurten, Carbon-Sitzschalen und einem Helm für 5.000 Euro sowie das “Kit 124 Speciale” mit Alu-Motorhaube und ein paar Titanverschlüssen für Tank, Öl und Kühler für 4.000 Euro. “Volle Hütte” liegt der Biposto also bei 66.400 Euro. Herkömmliche Kompaktsportler wie ein Ford Fiesta ST kosten in etwa ein Drittel, ein BMW M4 liegt knapp 6.000 Euro drüber. Und dennoch ist die 2014er-Produktion von 50 Autos bereits vergriffen. Der Biposto wird bei Abarths Rennsportabteilung gebaut und die schafft ein Auto am Tag. Die Verantwortlichen gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der Kunden zum Dog-Ring-Getriebe greifen wird. Trotz des horrenden Aufpreises würden wir das auch empfehlen. Schön, dass es Verrücktheiten wie den Biposto gibt. Und schön, dass Abarth Fans hat, die sowas auch kaufen.
(sw)
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