Renault Talisman im Test mit technischen Daten und Preisen zur Markteinführung

November 17, 2015

Renault Talisman: Die Mittelklasse-Limousine tritt ab Februar 2016 an die Stelle des Laguna

Das Stufenheck-Auto wird ausschließlich von kleinen Downsizing-Aggregaten angetrieben

Der Wagen wirkt durchaus repräsentativ

Florenz (Italien), 16. November 2015
“Man muss im D-Segment vertreten sein”, sagt Renault-Chefdesigner Laurens van den Acker. “Sonst wird man zur C-Segment-Marke. Und wenn man im C-Segment nicht vertreten ist, wird man schnell zur B-Segment-Marke.” Da dürfte er recht haben. Interessant ist jedoch, wie wenig enthusiastisch es klingt. Beinahe wie: Eigentlich haben wir keine Lust, aber wir müssen – sonst werden wir nach unten durchgereicht. Jedenfalls hat sich Renault wieder zu einer Mittelklasselimousine durchgerungen. Wir haben das Auto getestet.

“Kein Laguna-Nachfolger”
Auch wenn der Talisman im Modellprogramm an die Stelle des Laguna tritt, betont Renault, dass er keinesfalls der Nachfolger des Laguna ist. Denn der war kein großer Erfolg, noch nicht mal in Frankreich. Qualitätsprobleme waren daran schuld, das geben die Franzosen offen zu. Schwamm drüber, jetzt soll es besser werden. Das neue Auto basiert auf der Plattform CMF (Common Module Family) für das C- und D-Segment, auf der auch die neuen Versionen von Espace und Mégane beruhen.

Diesel mit nur 1,6 Liter Hubraum, aber zwei Turbos
So sind auch die Motorenpaletten von Espace und Talisman ähnlich. Es gibt ausschließlich kleinvolumige Downsizing-Aggregate. In der Limousine werden ein Turbobenziner mit 150 oder 200 PS sowie Selbstzünder mit 110, 130 und 160 PS angeboten. Wir fuhren den Topdiesel. Er hat nur 1,6 Liter Hubraum, aber zwei Turbolader und wird stets mit einem Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe kombiniert. Das Auto bietet guten Vortrieb, wie schon das Drehmoment von 380 Newtonmeter und der Normsprint in 9,4 Sekunden dokumentieren. Außer man ist im falschen Gang – was passieren kann, da es keine Schaltwippen gibt.

Nur ein Speicherkat
Die Euro-6b-Norm erreicht der Talisman mithilfe eines NOx-Speicherkatalysators. Wenn die schärferen Euro-6c-Grenzwerte kommen, wird ein SCR-System nötig werden, das weiß natürlich auch Renault. Aber solange man die aktuellen Abgasnormen ohne das teure SCR-System einhält, verzichtet die Marke im Interesse der Kunden lieber darauf – eine weise Entscheidung, auch weil dadurch das lästige Additiv-Nachfüllen entfällt. Den Verbrauch gibt Renault mit 4,5 Liter an, der Bordcomputer zeigte nach der Testfahrt 6,2 Liter an. Das sind weniger als 50 Prozent über Normverbrauch – nach unserer Erfahrung ein eher geringer Praxisaufschlag.

Verbundlenkerhinterachse und Hinterradlenkung
Das Fahrwerk hat zwei Besonderheiten: Erstens besitzt der Talisman (wie der Espace und der Mégane) hinten eine Verbundlenkerachse. Diese einfache Konstruktion, die sonst den unteren Klassen vorbehalten ist, hinterlässt zumindest auf den schlechten Straßen der Toskana keinen guten Eindruck. Besonders an Querfugen wirkt der Talisman oft unkomfortabel, und in Kurven wankt er mitunter. Zweitens besitzt der Talisman (wie der Espace) optional eine Hinterradlenkung: Die hinteren Räder werden je nach Fahrgeschwindigkeit gegen- oder gleichsinnig mit den Vorderrädern eingeschlagen. Auch das ist fühlbar, das Auto wird bei niedrigem Tempo agiler und bei höherem Tempo spurstabiler. Doch ein schlagender Effekt, der einem den Unterkiefer herunterfallen lässt, ist das nicht.

Fünf Fahrmodi
Vom Espace her bekannt sind auch die fünf Fahrmodi des Multi-Sense-Systems sowie die adaptiven Dämpfer. Die Modi kann man auch noch umfangreich konfigurieren, und so verwirrt die Komplexität des Systems schnell. Wie üblich wirken sich die Modi auf Lenkung, Gasannahme, Schaltpunkte und Dämpfereinstellung aus. Auch die Hinterradlenkung wird beeinflusst und noch etliches mehr: die Farbe der Ambientebeleuchtung, die Art der Anzeigen vor dem Fahrer, ja sogar der Motorsound – im Sportmodus wird er über die Audioanlage verstärkt. Alles okay soweit. Nervig wird es aber, wenn man auf Comfort umstellt, denn dann beginnt der Sitz, einem das Hinterteil mit einer Massage zu verwöhnen. Nichts gegen eine Massagefunktion, die kann man ja an- und abstellen, aber die Koppelung an den Comfort-Modus erscheint unnötig. Für alle, die das Pulsen nicht mögen, heißt es dann, schnell ins Menü und abstellen. Wenn man nebenbei fahren muss, ist das nicht einfach. Und das gilt für alle Talisman, denn sowohl die Massagefunktion als auch das Multi-Sense-System sind Serie.

Die Tücken des Bedienkonzepts
Wenn man “mal eben schnell” etwas umstellen muss, bemerkt man die Tücken des Bedienkonzepts. Gerade, wenn man alleine unterwegs ist und niemanden bitten kann, das entsprechende Häkchen rauszunehmen. Gerade, wenn man sich auf einer italienischen Autobahn mit schmalen Spuren und regem Verkehr befindet. Zwischen einer hohen Leitplanke und einem LKW eingeklemmt, gerät es rasch zum Vabanquespiel, die entsprechenden Menüeinträge im Display zu treffen. Denn beim Talisman wird sehr viel über den Touchscreen gesteuert, zum Beispiel auch oft benötigte Einstellungen wie die Audio-Lautstärke oder die Luftverteilung.

Gut verarbeitetes Cockpit
Optisch erinnert das Cockpit mit den matten Holzleisten und dem senkrecht eingebauten Mitteldisplay vage an den Volvo XC90, ohne dass es nach Plagiat riecht. Dazu kommen ein lederbespanntes Armaturenbrett, Instrumente in Form eines Displays und das optionale Head-up-Display in Farbe. Ein paar Elemente in Griffweite, zum Beispiel die Wände links und rechts von der Mittelkonsole, bestehen allerdings aus eher minderwertigem Plastik.

Keine Sitze für die Landstraße
Und die Langstreckenqualitäten? Das Geräuschniveau stört nicht, aber im Talisman ist es lange nicht so still wie im Audi A4. Das Fahrwerk stellt man auf der Autobahn am besten auf “Neutral”, es sei denn, man mag die Dämpfung amerikanischer Limousinen (dann “Comfort”) oder eines tiefergelegten Tuningautos (dann “Sport”). Die Sitze sind auf der Autobahn okay, aber für sportliche Kurvenfahrt völlig ungeeignet. Als Beifahrer an der Seite eines sportlichen Lenkers muss man auf kurvigen Landstraßen fast fürchten, sich blaue Flecken an den Knien zu holen, so schlagen die Beine hin und her.

Etwas für Hollande?
Was im Fond bei solcher Fahrweise passiert, wollen wir lieber gar nicht wissen. Bei kommoder Fahrt hat man dort aber auch als Erwachsener ausreichend Platz. Für die 1,74 Meter von François Hollande müsste es allemal reichen. Auf die Idee mit dem Staatspräsidenten kommt man, wenn man sich die repräsentative Außenoptik des Talisman ansieht. Und da Hollande sich wahrscheinlich nur in Notfällen sportlich kutschieren lässt, ist auch das fehlende Temperament des Talisman kein Gegenargument.

Umklapp-Rücksitze
Eher für den Normalbürger interessant: Die Rücksitzlehnen lassen sich asymmetrisch geteilt umklappen. So erweitert sich der Kofferraum von 605 auf 1.022 Liter und man kann auch längere Gegenstände unterbringen. Die praktischen Talente eines Fünftürers mit großer Heckklappe (à la Skoda Superb, Ford Mondeo oder Opel Insignia) hat der Talisman aber naturgemäß nicht.

Fünf Jahre Garantie
Wer mehr Wert auf den Gepäcktransport legt, muss bis Mai 2016 warten, dann startet der Kombi. Die Limousine rollt dagegen schon im Februar 2016 zu den Händlern. Als verkaufsfördernde Maßnahme werden in Deutschland fünf Jahre Garantie gewährt – das hat sich Renault wohl bei Kia, Hyundai oder Fiat abgeguckt. Die Preise beginnen bei recht günstigen 27.950 Euro für den 110-PS-Diesel mit guter Ausstattung: 17-Zoll-Aluräder, Klimaautomatik, ein Audiosystem mit Sieben-Zoll-Touchscreen, ein schlüsselloses Zugangs- und Startsystem, ein Tempomat und Parkpiepser hinten sind Serie. Den gefahrenen dCi 160 EDC gibt es ab 35.200 Euro – mit noch mehr Luxus an Bord. Die Preise liegen ausstattungsbereinigt etwa auf dem Niveau eines entsprechenden viertürigen Opel Insignia.
(sl)

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