Maserati Ghibli S Q4 im Test: Mächtig auf Zack

February 4, 2014

Maserati: Der Ghibli kann als erster Dreizack-Wagen mit Dieselmotor sowie mit Allradsystem bestellt werden

Der Q4-Allrad regiert blitzschnell und verteilt die Kraft im Verhältnis von bis zu 50:50 auf die Achsen

Der Ghibli ist 29 Zentimeter kürzer als der Quattroporte, aber mit 4,97 Meter immer noch lang

Cervinia (Italien), 3. Februar 2014
Nicht immer machen alle, was ich will. So ists auch hier. Die zwei Tonnen Auto bewegen sich nicht in die Richtung, in die ich möchte. Ich drehe am Lenkrad und gebe Gas, aber der Maserati schiebt sich nach rechts aus der Kurve raus und nicht nach links um die Kurve rum, wo er hin soll. Draußen ist es aber auch so schweineglatt, dass jede Katze nur auf den Krallenspitzen vorwärtskommt.

Mit Winterreifen aufs Eis
Das Profil der Reifen drückt in eine dünne Schneeschicht, darunter ist pures Eis. “Du musst warten, bis die Vorderräder Grip haben, erst dann gibst du Gas”, meldet sich Luca vom Beifahrersitz, “Spürst du das?” Nach der dritten Runde auf dem Ice Track mitten in den italienischen Alpen spüre ich, was er meint. Luca Rossetti ist Rallye-Profi und Instruktor bei Maserati. Er weiß, wovon er redet. Er kanns perfekt, ich übe noch. Auf der ersten Runde saß er am Steuer, da sah das Ganze spielerischer aus. Da hat er mir auch erklärt, dass wir auf so einer Eisstrecke eigentlich Spikes haben müssten, wir das heute aber mit normalen Winterreifen machen.

Mit Gefühl um die Kurven
Ich brauche vier Runden, um den Ghibli in den Kurven so gekonnt mit dem Hintern wedeln zu lassen, als wolle er auf der Landdisco die Dorfschönheit abgreifen. Dann gehört er mir. Ich habe begriffen, wie das Allradsystem tickt. Also werde ich mutig und lasse die große Limousine einen Berg runterrennen. Ich weiß, dass die 180-Grad-Kehre unten kein Problem sein wird. Gas wegnehmen, sanft einlenken und spüren, wenn die Fronträder wieder greifen. Dann Gas geben und merken, wie das große Auto meinem Geheiß am Steuer folgt und leicht übersteuernd durch die Biegung kommt. Wow, das ist ein geniales Gefühl! Auch Luca ist begeistert. “Ja”, strahlt er, “das ist ein Maserati!” Er sagt es mit so viel italienischer Begeisterung in der Stimme, dass ich ihm das Auto sofort abkaufen würde. Aber nicht nur wegen Lucas Überzeugung, sondern auch weil der Ghibli Q4 wirklich feine Sachen kann. Wir fahren den eisglatten Berg nämlich wieder hoch, als wäre es ein sommerlicher Cabrioausflug an den See.

Gleichgewicht von 50:50
In der Mitte des Hügels halte ich an und schaue auf das Display hinter dem Lenkrad. Dort wird angezeigt, wie sich das Drehmoment gerade zwischen den Achsen verteilt. Auf einer griffigen, trockenen Straße treibt die Motorkraft nur die Hinterräder an. Doch sobald an der Hinterachse der Grip wegbleibt, wird das Muskelspiel verteilt. Das System schickt die Kraft mit Hilfe einer Lamellenkupplung nach vorn. Das passiert innerhalb von 150 Millisekunden, also quasi in einem Lidschlag. Im Ergebnis kann sogar ein Gleichgewicht von 50 zu 50 herrschen. Und das zeigt das Display vor mir auch sofort an, nachdem ich den Fuß von der Bremse nehme und aufs Fahrpedal stelle. Bei einem Hecktriebler wäre jetzt maximal gar nichts passiert, der Ghibli aber setzt sich in Bewegung, als würde er von einem Seil gezogen.

Sportknopf schärft Sound und Gasannahme
Oben angekommen, drücke ich den Sport-Knopf in der Mittelkonsole und gebe am Gaspedal die Sporen. Das quittiert der Maserati mit einem dumpfen, wohligen Fauchen aus seinen vier Rohren, nimmt schneller Gas an, schaltet später hoch und lässt beim Kurvenwedeln den Popo noch ein bisschen mehr nach außen tanzen.
Der schwere Wagen bleibt dabei immer noch beherrschbar, vorausgesetzt, ich will nicht das Gesetz der Fliehkraft brechen. Dass das auch für den Allrad-Maserati gilt, merke ich, als ich alle Regelsysteme ausschalte und nur den Allrad machen lasse. Selbst jetzt noch krallt sich der Italiener so souverän um die Biegungen, dass ich vor einem Winterausflug zur Berghütte keine Angst hätte. Wers völlig sicher willl, drückt den Knopf vom Ice Mode. Dann wird die Automatik für die bestmögliche Traktion optimiert.

Ghibli: Erster Allrad, erster Diesel von Maserati
Mit dem Ghibli, den es seit Mitte 2013 gibt, will Maserati wieder durchstarten. Er ist der 29 Zentimeter kürzere Bruder des Dickschiffs Quattroporte und wildert im Revier von 5er-BMW und Mercedes E-Klasse. Um dort bestehen zu können, gibt es ein Novum in der 100-jährigen Geschichte der Marke. Der Ghibli ist der erste Maserati, in dem neben zwei V6-Ottos auch ein Diesel zum Einsatz kommt. Gleichzeitig sind er und der Quattroporte die ersten Dreizack-Autos, die einen Vierradantrieb bekommen haben. Allerdings gibts beides nicht in Kombination, die Allradkäufer dürfen sich mit einem Dreiliter-V6-Benziner anfreunden. Mehr heißblütige Italo-Gene als dieser 410-PS-Otto dürfte aber kein Antrieb haben. Das Biturbo-Aggregat hat Maserati zusammen mit Ferrari entwickelt und es wird in Maranello gebaut.

Recht hoher Preis
Vorn schaut der Ghibli recht angriffslustig aus seinen Scheinwerferaugen, sein geschwungenes Design wirkt rassig und cool. Dieses Auto kauft man sich, wenn man keinen der Platzhirsche in ihrem nüchternen Firmenwagen-Look will. Doch der Ghibli hat auch einen saftigen Preis: 82.470 Euro sind eine sportliche Ansage, vor allem für einen Frischling in der oberen Mittelklasse. Den BMW 550i und den Mercedes E 500 gibt’s mit Allrad schon so um die 73.000 Euro.

Riesiger Touchscreen in der Mittelkonsole
Die inneren Werte stimmen. Gebettet in feines Leder residiert es sich vorzüglich im Ghibli. Wer ein zweckmäßiges Cockpit mag, findet alles dort, wo es hingehört. Die Materialien sind sauber verarbeitet, da gibt es nichts auszusetzen. Ein riesiger, gut bedienbarer Touchscreen prangt in der Mittelkonsole. Die Sitze sind bequem und geben guten Seitenhalt. Nur die Tasten für die Verstellung sind zwischen Tür und Sitz schlecht zu erreichen, das kann Mercedes mit den Knöpfen an der Tür um Welten besser. Der Fond ist kein Tanzsaal, hat aber erfreulich viel Platz für Knie und Kopf und das trotz der flach abfallenden Dachlinie. In den 500-Liter-Kofferraum passt jede Menge Gepäck, nur die Öffnung ist etwas zu eng geschnitten.

Sanfte Achtstufen-Automatik
Die V6-Maschine macht genug Dampf, um den Allradler von unten raus mächtig fix auf die Palme zu bringen. 4,8 Sekunden auf 100 sind ebenso eine Ansage wie 284 km/h Spitze. Die Federung passt, das Fahrwerk ist straff, schluckt aber auch Querrillen gut weg. Auf Tastendruck kann man die Dämpfung noch mal härter einstellen. Das macht dann Sinn, wenn man den heißen Wüstenwind – dafür steht der Name Ghibli – über die Serpentine blasen lassen will. Das macht Spaß, vor allem auch, weil die Achtstufen-Automatik die Gänge je nach Einstellung sanft oder sportlich, aber immer zum richtigen Zeitpunkt wechselt. Mit Wippen am Lenkrad kann der Fahrer die Box aber auch selber sortieren. Die Lenkung ist straff eingestellt und so zieht der Ghibli zielsicher und rasant seine Bahn durch die Biegungen, immer unterstützt vom Allrad, der wie schon mal gesagt die Kraft zwischen vorn und hinten sortiert. Kann dieser Maserati auch die Verkaufszahlen der italienischen Firma in die richtige Spur bringen? Könnte sein. Denkbar ist es.
(hd)

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