Maisach, 31. August 2014
Ja, es gab Diskussionen. Reichlich sogar. Die Zahl 4! In einem M! Ein Turbomotor! In einem M! Die Enthusiasten zerrissen sich das Maul und tun das bei ihrem Lieblings-Sportcoupé vermutlich immer noch. Ob der ganze Terz in Anbetracht der Fähigkeiten des neuen M4 wirklich angebracht ist, lassen wir mal dahingestellt. Aber der M3/M4 war und ist eine heilige Kuh und wer ihr ans Leder geht … naja, Sie wissen schon. Jetzt ist das neue M-Cabrio dran, auch mit einer 4 versehen und natürlich auch mit einem aufgeladenen Triebwerk unter der Haube. Die Eingangsfrage lautet dennoch: Gibt es – ganz objektiv betrachtet – irgendwas, das man an diesem Auto nicht mögen kann? Eine Optik zum Niederknien? Ist vorhanden! Jede Menge Dampf und Drehmoment? Mit dabei! Alltagstauglichkeit? Mehr als genug! Offen fahren? Dauert 20 Sekunden! Wenn Sie also keine tiefe Abneigung gegenüber den Bayerischen Motoren Werken hegen, sollten Sie diesem Angebot verfallen sein, bevor Sie überhaupt einen Meter gefahren sind. Außerdem sorgen Sie sich als klassischer Sportcabrio-Fahrer ohnehin weniger um schnöde Zahlen (das sieht man schon beim Preis) oder das Ansprechverhalten jenseits von 6.500 Touren. Eher soll die Zerstörung der eigenen Frisur mit möglichst viel Stil und Präsenz einhergehen.
Innen eher Ritz als Sporthotel
Diese Prüfung besteht der offene M4 mit Links: scharfe Kanten, dicke Radhäuser, die mit atemberaubend schönen Rädern gefüllt sind, dazu ein sehr penibel zusammengesetztes Cockpit, das bei meinem Testwagen (für Münchner Verhältnisse) vor Liebe zum Detail geradezu strotzt. Danke in diesem Fall an BMW Individual für Leder in “Merino fine-grain Amaro Brown” (sieht aus wie ein Baseball-Handschuh) und die schwarzen Klavierlack-Zierleisten (sehen aus wie ein Klavier). Für den nötigen Luxus, den man in Abu Dhabi, Miami oder Grünwald so liebt, sorgen außerdem eine Beladehilfe, die die komplette Dachkonstruktion beim Kofferraum-Tetris hydraulisch anhebt sowie ein Hinterkopf-mordender, dreistufiger Nackenföhn.
Leichter und doch schwer
Nun aber genug von Verwöhn-Aroma. Wir fahren noch immer einen M. Und schließlich hat man es wie bei Limousine und Coupé geschafft, das Gewicht im Vergleich zum Vorgänger trotz all des neumodischen Firlefanzes (inklusive diverser Assistenzsysteme) um gut 60 Kilo zu senken. Auch das Cabrio erhält Garchinger Leichtbau- und Rennsport-Hightech wie eine Carbon-Gelenkwelle, eine Aluminium-Motorhaube oder die fest mit der Karosserie verschraubte Hinterachse. Der Untergrund wird dennoch mit Wal-ähnlichen 1.750 Kilogramm belastet. Das sind gut und gerne 250 Kilo mehr als beim Coupé. Entsprechend hat die M GmbH Federn, Dämpfer und die Stabilitätskontrolle auf die Bedürfnisse der Oben-Ohne-Fraktion angepasst. “Mein” M4 hat zusätzlich 7.300 Euro an Keramik hinter seinen 19-Zöllern. Man mag über den Sinn streiten, fast ein Zehntel des Fahrzeugpreises in eine Bremse zu investieren, aber in puncto Kraft, Ausdauer und Gefühl sind die teuren Anker eine Sensation. Außerdem haben sie goldene Bremssättel.
Doppelkupplung fast Pflicht
Eine weitere optionale Spielerei ist das adaptive M-Fahrwerk mit jeweils drei Einstellungen für Lenkung, Dämpfung und Motorcharakteristik. So haben Sie mehr als genug Möglichkeiten, sich Ihren M fahrdynamisch auf den Leib zu schneidern. Und weil sich die drei Knöpfe ganz unkompliziert neben dem Schalthebel aufhalten, haben Sie auch immer etwas gegen plötzlich aufkommende Langeweile. Ich persönlich würde die Lenkung im Normalmodus belassen, weil sie sich hier am natürlichsten anfühlt und nicht künstlich verhärtet (auch im offenen M4 ist die elektromechanische Lenkung ein Novum. Sie zählt zu den Besten ihrer Art, könnte aber einen Ticken mehr Asphalt-Signale senden). Da das Cabrio ein überraschend geschmeidiger Geselle ist, darf man die Dämpfer ruhig auf Sport oder Sport Plus stellen. Und was den Motor angeht, scheint Sport die beste Lösung zu sein. Wenn Sie ohnehin schon durch die Aufpreisliste toben, dann setzten Sie bitte auch ein Häckchen beim Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe. Ja, es kostet happige 3.900 Euro extra, aber es ist schlicht und ergreifend meisterlich. Knackig, reaktionsschnell, dabei immer galant genug und über schön große und hochwertige Paddles auch im manuellen Modus ein Fest. Gerade im Cabrio müssten Sie schon ein radikaler Werte-Verfechter sein, um das Sechsgang-Handschaltgetriebe zu bevorzugen.
Der Motor drückt gewaltig
Sie wollen jetzt endlich was vom Motor hören? Dem Stein des Anstoßes? Der Seele eines jeden M-Autos, die man durch zwei Turbos achtlos entfernt zu haben scheint? Nun, Seele ist ein gutes Stichwort. Ich muss nämlich zugeben, dass mich die neue Klangkulisse auch im Cabrio ein wenig verwirrt. Steht man direkt hinter dem Auto, wird das Trommelfell von einem reichhaltigen, tiefgründigen und sehr V8-ähnlichen Schwall geradezu verwöhnt. Im Interieur verkommt der Audio-Traum dann leider zu einem leicht brummigen Gurgeln und Schreien, das unverkennbar unter dem Einfluss eines künstlichen Verstärkers steht. Denken Sie an einen Golf R mit größeren Testikeln, dann wissen Sie, was ich meine. Apropos: Natürlich strotzt das neue Aggregat auch im schwereren Cabrio vor Kraft und Inbrunst. Die Gasannahme ist für einen aufgeladenen Motor schlicht sensationell und nach einem gigantischen Drehmomentberg über den gesamten mittleren Drehzahlbereich, brennt sogar über 7.000 Touren der Baum noch mehr als ordentlich.
Bewundernswerte Agilität
Um die Kritik am Doppelturbo nachvollziehen zu können, muss man also etwas tiefer ins Detail gehen. Wäre man ein echter Hardcore-Purist, könnte man sich nämlich darüber aufregen, dass der alte V8 besser dosierbar und schärfer auf Drehzahl war. Was das heißen soll? Es heißt, dass das neue Aggregat sehr viel mehr Drehmoment sehr viel plötzlicher bereitstellt. Das macht es einerseits überflüssig, Dauergast im roten Bereich zu sein (viele M-Fahrer finden den Aufenthalt im roten Bereich aber sehr angenehm) und bringt andererseits die Hinterachse von Zeit zu Zeit ganz schön ins Schleudern (im wahrsten Sinne). Wie schon beim Coupé ist es also auch im M4 Cabrio relativ einfach, den Allerwertesten ins Spiel zu bringen. Menschen, die nicht so viel Spaß an ausbrechenden Hecks haben, würden sagen, es passiert die ganze Zeit. Zum Glück ist das Auto aber relativ leicht einzufangen und für genügend Vortrieb beim Quertrieb sorgt das hervorragende aktive M-Differential. BMW hat also auch dem M4 Cabrio eine sehr spaßorientierte Chassis-Balance mit auf den Weg gegeben. Wer am Lenkrad etwas seriöser agiert, kommt aber ebenfalls auf seine Kosten. Der Klappdach-M4 überzeugt mit viel Grip, liegt sehr satt auf der Straße und hat tierisch Lust auf Kurven. Dazu kommt eine Agilität und Spitzheit, die natürlich nicht ganz an die sehnige Austrainiertheit des geschlossenen Bruders heranreicht, in Anbetracht des Gewichts aber schlicht an Zauberei grenzt.
Windgeräusche? Gibt`s am Meer!
Stichwort Zauberei: Nachdem der Fahrdynamik-Teil im bayerischen Voralpenland abgehackt ist, führt die Testroute über die weitgehend unbegrenzte A95 (ja, die mit den vielen schweren Unfällen) zurück ins BMW Trainingscenter nach Maisach. Und genau hier ist es, wo der Klappdach-M sein verblüffend großes Repertoire zur Gänze auf die Bühne bringt: Schnell gefahren ist das Auto nämlich absolut entspannend und leise. Sehr leise. Offen wie geschlossen. Windgeräusche? Gibt`s am Meer! Im offenen M4 eher nicht. Mit diesem Auto könnten Sie völlig entspannt 1.000 Kilometer am Stück abreißen. Wenn`s sein muss auch auf der Nordschleife. Mit Gepäck. Und das ist der Trick am M4 Cabrio. Mehr Spaß plus Alltag plus Luft werden Sie derzeit woanders nicht finden. Durch den etwas beliebig klingenden Turbo-Motor mag der neue M gewöhnlicher und ein bisschen weniger verrückt geworden sein, allerdings erscheint die Gesamtkomposition – und das gilt besonders für das Cabrio – besser denn je.
(sw)
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