Porsche 911 Targa 4S im Test: Zurück in die Zukunft

April 3, 2014

Sie mögen kein Cabrio? Dann wäre der neue Porsche 911 Targa genau das Richtige

Statt des großen Glasschiebedachs der letzten Targa-Versionen weist der neue Targa wieder ein herausnehmbares Mittelteil auf

Alle 911 Targa sind mit dem breiten Heck und der Technik des allradgetriebenen Carrera 4 versehen

Bari (Italien), 2. April 2014
Es sind die prinzipiellen Entscheidungen im Leben, vor die man oft gestellt wird: Rotwein oder Weißwein? SPD oder CDU? Borussia Dortmund oder Bayern München? Auch Liebhaber des aktuellen Porsche 911 mussten sich bislang festlegen: Coupé oder Cabrio? Doch jetzt versucht die Marke, beides zu vereinen und zwar in Gestalt des neuen 911 Targa.

Vom Bügel zum Glasdach
Targa? Da war doch mal etwas? Richtig: Auf der IAA 1965 stellte Porsche den offenen 911 vor. Anders als heute gab es kein Cabrio, denn das war bei der Entwicklung des Elfers nicht vorgesehen. Zur Kompromisslösung wurde der nach dem “Targa Florio”-Rennen benannte 911 mit dem markanten Bügel und der anfangs herausnehmbaren Kunststoff-Heckscheibe. Bis heute hält sich die Lesart, der 911 Targa wäre als “Sicherheitscabrio” für den US-Markt konzipiert worden. Nun gut, Mercedes exportierte auch in den Jahren danach den SL ganz ohne Bügel in die Staaten. Vielmehr diente die Targa-Lösung der Steifheit der Karosserie, die wie erwähnt nicht auf eine Cabriovariante hin ausgelegt war. Egal, das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Erst 1967 kam der Targa auf den Markt, pikanterweise hatte er sich in Crashtests noch nicht als sicher genug erwiesen. Ab 1969 gab es ihn mit fester Glasheckscheibe.

Zurück zu den Wurzeln
Genau daran knüpft 45 Jahre später der brandneue Porsche 911 Targa an. Vorbei sind die Zeiten, als Targa für eine Version mit großen Panorama-Glasschiebedach stand. Damit das auch wirklich jedem auffällt, setzt man auf diverse Retro-Elemente. Am markantesten ist sicherlich der Bügel hinter den Türen in Metalloptik mit Targa-Schriftzug und (funktionslosen) Kiemen. Über die Insassen spannt sich ein Stoffverdeck mit einer Dachschale und so genannten Flächenspriegeln aus Magnesium. Was das heißt, spüre ich beim Anfassen: Man fühlt Stoff, aber das Dachteil ist beinahe so fest wie ein Metallklappdach. In der Tat zielt man mit dem 911 Targa auch auf jene Kundschaft, die mehr auf die inzwischen allgegenwärtigen Blechfaltdächer steht. Baureihenleiter August Achleitner drückt es so aus: Ein “Allwetterauto mit Allwetterantrieb”. Was er meint, ist die breite Karosserie des Targa, denn es gibt ihn nur als Carrera 4 mit Allrad. Gegenüber dessen Coupéversion ist der Bügel-911er übrigens 110 Kilogramm schwerer, im Vergleich zum Cabrio sind es 40 Kilogramm.

Magische Momente
Soweit die Theorie, wie sieht die Praxis aus? Ich sinke in den sehr bequemen Fahrersitz und suche die Taste zur Verdecköffnung. Los geht die vollautomatische Targa-Show: Die gläserne Heckkuppel schwenkt nach hinten über das Ende des Autos hinaus, weshalb das ganze Prozedere nur im Stand möglich ist. Serienmäßige Parksensoren achten übrigens darauf, dass hinter dem Auto genug Platz ist. Dann wird das an zwei Armen befestigte Dach nach hinten bewegt. Um es über den Bügel zu bekommen, klappen dessen obere Enden nach unten weg. Zu guter Letzt wird die Mütze unter der hinteren Scheibe verstaut. Lange Rede, kurzer Sinn: Nach 19 Sekunden ist der Targa so offen wie die Münder der Zuschauer. Für die ganze Klappfix-Methode sind übrigens nur zwei Motoren zuständig, laut Porsche-Mann Achleitner soll der ganze Mechanismus mindestens 160.000 Kilometer lang funktionieren.

Sturm auf dem Scheitel?
Wie fühlt sich das offene Fahren im 911 Targa an? Ich bin mit dem stärkeren Targa 4S unterwegs, dessen 400 PS der Frisur durchaus gefährlich werden können. Aber nicht im Targa, denn dort fällt die Zugluft direkt von hinten fast komplett weg. Nur etwas Wind streicht um den Nacken, er kommt durch die Richtung Heckscheibe leicht abfallenden Seitenfenster. Werden sie oben gelassen, stellen selbst 180 km/h kein Problem dar, solange man sich nicht unterhalten möchte. Die Windgeräusche sind dann nämlich dominant. Doch solch eine offene Raserei ziemt sich beim 911 Targa eh nicht. In ihm genieße ich die Landschaft bei moderatem Tempo und merke bei etwa 80 km/h ein leichtes Wummern. Das verschwindet zwar beim Druck aufs Gaspedal, passt aber nicht so ganz zum Komforteindruck des Wagens. Auf dem Rahmen der Frontscheibe thront ein schmaler Windabweiser. Er bemüht sich redlich, das Haupthaar (sofern vorhanden) zu schonen, eine geschmackvolle Kopfbedeckung kann aber nicht schaden. Schließlich ist der 911 Targa so etwas wie ein Präsentierteller. Deutlich steifer wird die Brise bei heruntergefahrenem Seitenfenster. Doch auch in diesem Modus grenzen 120 km/h nicht an Körperverletzung.

Klang-Körper
Überhaupt besitzt der maximal offene 911 Targa am meisten Spaßpotenzial: Der heisere Klang des 3,8-Liter-Boxers dringt ungefiltert an mein Ohr. Und ich bin der Karajan des Sechszylinders: Unter 3.000 Umdrehungen spielt der Motor lässig sein charakteristisches Lied. So könnte jede Hausfrau entspannt zum Supermarkt cruisen. (Sie sollte dann aber die mickrigen Notsitze als Ablage nutzen.) Ab 4.000 Touren schmettert das Aggregat seine Drehzahlarie von 50-jähriger 911-Tradition und presst mich mit aller Gewalt in den Sitz. Mit anderen Worten: Jetzt geht die Post ab. Mit dem sehr empfehlenswerten PDK und dem Sport-Chrono-Paket inklusive der putzigen Uhr auf der Mittelkonsole jagt der Targa 4S in 4,4 Sekunden auf 100 km/h.

Ausgezeichnet ausgewogen
Dank des serienmäßigen Allradantriebs bekomme ich aber dabei zumindest wegen des Autos keine nassen Hände. Die häufig benutzte Phrase stimmt beim 911 Targa 4 und 4S wirklich: Wie auf Schienen geht der Wagen durch die Kurven. Hinzu kommen die exzellent austarierte Lenkung und ein Fahrwerk, welches zwar straff ist, aber die Insassen nicht weich prügelt. Habe ich etwas vergessen? Stimmt: Wie fährt sich der Targa geschlossen? Antwort: angenehm ruhig für lange Strecken. Hinzu kommt durch die große Glasscheibe hinten ein deutlich luftigeres Raumgefühl als im Cabrio.

Bitte warten!
Rund 13 Prozent aller gut 853.000 bislang produzierten Elfer waren Targa-Modelle. Einen ähnlichen Anteil am 911-Programm soll auch die Neuauflage haben. Die Chancen dafür stehen gut: Die erste Jahresproduktion von 3.000 Exemplaren ist schon ausverkauft. Immerhin: So bleibt mir und Ihnen mehr Zeit, um auf einen 911 Targa zu sparen. Mindestens 109.338 Euro ruft Porsche dafür auf. Zum Vergleich: Das Carrera 4 Cabrio ist gut 1.000 Euro teurer, das entsprechende Coupé etwa 12.000 Euro billiger. Aber was heißt bei Porsche schon billig? Kaum ein Kunde wird seinen Targa von der Stange kaufen. Eine über 80 Seiten dicke Preisliste lädt zum Stöbern ein. Das Angebot reicht vom Heckscheibenwischer für 345,10 Euro über in Wagenfarbe lackierte Lüftungsdüsen (1.184,05 Euro) bis zur Keramikbremsanlage für 8.508,50 Euro. Falls es Sie tröstet: Sehr viel billiger ist der Ur-Targa von 1967 auch nicht. Exemplare im Zustand zwei werden mit über 90.000 Euro notiert. Hier gilt das inoffizielle Targa-Motto: nach oben offen.
(rh)

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