Mercedes V-Klasse im Test: Die verfeinerte Nutz-Kiste

April 3, 2014

Die Mercedes V-Klasse beerbt Ende Mai 2014 den Viano

Die anfangs allein angebotene, mittellange Version misst 5,14 Meter

Die tiefen, breiten Linien am Heck sollen den Transporter optisch in die Breite ziehen

Hörnum/Sylt, 3. April 2014
Wie kriegen wir nur den Sex in die Kiste? Das war die Frage, die sich Designer Kai Sieber bei der Gestaltung der neuen Mercedes V-Klasse stellte. Das Auto sollte nicht so kastenartig aussehen wie der Vorgänger Viano oder der Hauptkonkurrent VW T5 Multivan, sondern mehr in Richtung Limousine gehen. Daher die offizielle Mercedes-Einstufung als “Großraum-Limousine” und die Benennung V-Klasse, die das Auto ans Pkw-Modellprogramm angliedert. Auch die Optik passt dazu, denn das Vorderteil der V-Klasse sieht aus, als würde hinten ein ganz normaler Mercedes folgen.

Nullfugen und sinnliche Klarheit
Ob man die Limousinenschnauze nun mag oder nicht, für uns bleibt die V-Klasse ein Transporter, denn für den Transport ist dieses Auto gemacht. Wenn Sieber von der sinnlichen Klarheit der Formen spricht, und die Überwölbung der Seitenflächen oder die “Nullfuge” an der Mittelkonsole lobt, dann übertreibt er – wie jemand, der beim Trinken von Rotkäppchensekt den kleinen Finger abspreizt. Supermarkt-Sekt ist kein Jahrgangs-Champagner, und ein Transporter kein Coupé. Auch ein paar andere V-Klasse-Details sind ein wenig over the top. Serienmäßige Schaltwippen bei der Automatikversion zum Beispiel, oder die einstellbaren Stoßdämpfer.

Schick, aber noch nicht Oberklasse
Aber gegen das schicke Cockpit habe ich nichts. Hier gibt es das gleiche tabletartige Display, die gleichen Dekorleisten und das gleiche Touchpad wie in der C-Klasse. Im Detail finden sich aber auch Schwächen. Dazu gehört das minderwertig wirkende Plastik rund um die Touchpad-Einheit und um die Schalter der Fensterheber. Im Fond gibt es weder eine Sitzheizung noch eine Regelung für den Luftausströmer im Fußbereich. Den Aufstieg in den Oberklasse-Olymp hat die V-Klasse noch nicht geschafft, aber für einen Transporter ist das Gebotene beachtlich.

Angenehmer Reisekomfort
Auch der Fahrkomfort hat noch nicht das Niveau der S-Klasse erreicht, auch nicht das der C-Klasse mit Luftfederung. Doch die Einzelradaufhängung ist für die Klasse komfortabel abgestimmt. Die V-Klasse liegt etwa zwei Zentimeter tiefer als der Viano. Doch dass sich eine Schlangenlinien-Fahrt mit dem 1,88 Meter hohen Gefährt verbietet, versteht sich von selbst – wie gesagt, ein Transporter ist kein Coupé. Wichtiger für ein Auto wie die V-Klasse ist der Geräuschkomfort. Bei einem Reisetempo von 160 km/h ist der okay, man kann sich noch normal unterhalten.

Sechs verschiebbare Einzelsitze
Um die Bequemlichkeiten des Reisens im Fond zu erproben, setze ich mich auf der Rückfahrt mit meinem Kollegen nach hinten und lasse mich chauffieren. Mein Testwagen ist mit den serienmäßigen sechs Einzelsitzen in drei Reihen bestuhlt. Wir sitzen uns diagonal gegenüber und stellen fest: So reist man bequem, und auch für Gepäck ist noch ausreichend Platz. Allerdings kommen wir ins Grübeln, als wir auf unsere Füße hinunterschauen: Wenn hier vier statt zwei Leute säßen, müssten sie ihre Füße “verzahnen”. Und das, obwohl die Sitze schon so weit voneinander weg positioniert sind wie möglich. Und das ist nicht nur bei meiner mittellangen V-Klasse-Variante so, sondern bei allen drei Längen, die Mercedes anbieten wird.

Ersatz fürs Krafttraining im Fitness-Studio
Die Sitze lassen sich auch ausbauen. Als Zweisitzer bei dachhoher Beladung fasst die V-Klasse 15 Kubikmeter Stauraum – da kann man sich beim nächsten Umzug den Möbelwagen sparen. Jeder Sitz wiegt allerdings 28 Kilo, ein täglicher Umbau fördert also die Fitness, wenn man es nicht gerade am Rücken hat. Der Ausbau ist auch Voraussetzung, um die Sitze zu drehen, wenn einem die serienmäßige Konferenzstellung nicht behagt. Beim VW Multivan kann man die Sitze zwar auch ohne Ausbau drehen, sie sind dafür aber noch um einiges schwerer – gut für den Kraftsportler, schlecht für die Frau Mama. Wer will, kann statt der serienmäßigen sechs Einzelsitze auch sieben oder acht Sitzplätze haben. Dafür werden die beiden Einzelsitze in Reihe zwei und/oder drei jeweils durch eine Dreier-Sitzbank ersetzt.

Die 163-PS-Variante reicht dicke
Für den Antrieb sorgt bei der V-Klasse stets ein 2,1-Liter-Biturbo-Diesel, allerdings in drei Leistungsstufen. Die Einstiegsversion V 200 CDI hat 136 PS. Die gefahrenen Versionen V 220 CDI mit 163 PS und V 250 Bluetec mit 190 PS haben kein Problem mit einer angemessenen Gangart auf der Autobahn. Mit der optionalen Siebengang-Automatik ausgerüstet, schafft auch die PS-schwächere Variante Tempo 195. Der Unterschied zwischen den beiden Leistungsstufen im Fahrgefühl und beim Beschleunigungsverhalten ist vernachlässigbar – der günstigere Motor reicht also. Für diese Wahl spricht auch, dass hier das Additiv-Nachtanken entfällt. Die Topmotorisierung 250 Bluetec hält zwar die Euro-6-Norm ein, braucht aber für die Abgasnachbehandlung das Additiv Adblue. Der Zehn-Liter-Tank reicht jedoch nur für vier- bis sechstausend Kilometer, viele Fahrer werden also vierteljährlich oder noch öfter nachfüllen müssen. Vor der langen Urlaubsfahrt sollte man an eine Reservepatrone denken, wenn man sich nicht sicher ist, ob die Tankstellen im Urlaubsland derartiges anbieten.

Niedriger Normverbrauch
Anders als beim Additiv reicht die Größe des Kraftstofftanks aus. Serienmäßig passen 57 Liter hinein, und der Normverbrauch der getesteten Versionen liegt bei 5,7 beziehungsweise 6,0 Liter – sehr bemerkenswert für ein so großes Fahrzeug mit riesiger Stirnfläche. In der Praxis brauche ich mit dem V 220 CDI bei sparsamem Fahren mit 80 bis 130 km/h 7,0 Liter, beim V 250 Bluetec meldet der Bordcomputer bei Tempo 160 einen Verbrauch von 9,9 Liter. Auch mit zehn Liter Verbrauch sollten also mit einer Tankfüllung mindestens 500 Kilometer drin sein. Wer allerdings eine Fahrt von München nach Kapstadt plant, sollte sich für den optionalen 70-Liter-Tank entscheiden.

Unbeladen schlechte Traktion
Im Fall von Trans-Sahara-Ambitionen sollte man aber sowieso auf die später startende Allradversion warten. Als Testareal steht mir nur eine bescheidene Sandfurche am Autostrand von Sankt-Peter-Ording zur Verfügung. Mutig fahre ich mit meinem 220 CDI hinein und komme nach ein wenig Quälerei auch wieder heraus. Aber wie sich das wohl im Winter bei Glatteis darstellt? Anders als der Segmentbestseller VW Multivan hat die V-Klasse Hinterradantrieb – schon weil sie sich die Plattform mit den größeren Mercedes-Modellen teilt. Der Fronttriebler von VW, das gibt man bei Mercedes unumwunden zu, hat im unbeladenen Zustand die bessere Traktion. Mit Transportgut ändert sich das Bild, und ein Wohnmobil mit Teilausbau soll mit Hinterradantrieb keine Probleme mehr haben. Ansonsten bleibt nur das Warten auf die Allradversion oder der klassische Sandsack im Kofferraum.

Basispreis: Rund 10.000 Euro höher als bei VW
Die Preise für die V-Klasse beginnen bei recht happigen 42.900 Euro für den 136 PS starken V 200 CDI. Den VW Multivan gibt es schon für runde 10.000 Euro weniger, dann aber nur mit 84-PS-Diesel und magerer Startline-Ausstattung. In der eher vergleichbaren 150-PS-Comfortline-Version kostet der VW sogar geringfügig mehr als der Mercedes. Die Serienausstattung der V-Klasse ist nicht luxuriös, umfasst aber das Wesentliche. Darunter ist eine Schiebetür rechts, eine Klimaanlage, elektrische Fensterheber vorne, Zentralverriegelung, elektrisch einstell- und beheizbare Außenspiegel und ein Radio mit Sieben-Zoll-Display. Die Automatik kostet 2.499 Euro, eine zweite Schiebetür 854 Euro und eine Sitzheizung vorne 450 Euro. Günstig ist die V-Klasse nicht. Doch vermutlich wird das Motorenprogramm noch nach unten ergänzt. Zu erwarten sind ein 100-PS-Diesel und eine Benzinerversion. Die reine Nutzfahrzeugvariante, also der Nachfolger des Vito, startet in der zweiten Jahreshälfte 2014. Auch auf die Wohnmobilvariante Marco Polo und die Allradversion muss man noch etwas warten.
(sl)

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