Jeep Cherokee im Test: Zählt bei der Neuauflage nur die Optik?

April 16, 2014

Mit einem markanten Design rollt der neue Jeep Cherokee an den Start

Auch im Profil fällt die flache Schnauze des Wagens auf

Am Heck wirkt der Wagen durchaus ansehnlich

Balocco (Italien), 14. April 2014
Das erste Volk: So nennen sich die Indianer vom Stamm der Cherokee selbst. Und irgendwie passt das auch zu dem Jeep, der ihren Namen trägt. Im Jahr 1984 kam er erstmals nach Europa, mit einer Länge von rund 4,20 Meter würde man ihn heute in die Riege der Kompakt-SUVs einreihen. Drei Jahrzehnte später bringt Jeep die neueste Cherokee-Generation an den Start. Mit 4,62 Meter spielt sie aber inzwischen in einer Liga mit dem BMW X3 und dem Volvo XC60. Ist der Cherokee des Jahres 2014 nur ein Bleichgesicht oder ein würdiger Häuptling?

Einer wie keiner
Beginnen wir zunächst mit der Optik. Sie ist beim neuen Cherokee äußerst markant. Besonders von der Seite fällt die spitz zulaufende Fahrzeugnase auf. Die Dreiteilung der Leuchten an der Frontpartie (oben Tagfahrlicht und Blinker, mittig Hauptscheinwerfer, unten Nebellicht) hat bei weitem nicht nur Fans. Aber Design ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, schließlich wird keiner gezwungen, diesen Cherokee zu kaufen. Und mal unter uns: Die letzten beiden Vorgängermodelle waren auch keine stilistischen Meisterwerke. Eines muss man der 2014er-Ausgabe lassen: Sie sticht aus der Masse hervor.

Von zart bis hart
Apropos Optik: Hier hat der Kunde die Wahl zwischen den “normalen” Versionen und dem besonders geländegängigen Cherokee Trailhawk. Letzterer bietet neben mehr unlackiertem Kunststoff an der Karosserie auch andere Stoßfänger. Damit wirkt der Wagen zwar vorne noch mehr wie ein Ameisenbär, bietet dann aber einen vorderen Böschungswinkel von 29,9 Grad (plus 11,7 Grad), hinten sind es 32,1 Grad (plus 8,1 Grad). Die Bodenfreiheit steigt von knapp 17 auf 22 Zentimeter.

Alle Neune
Wir beginnen unsere Testfahrt jedoch ganz zivil und nehmen den konventionellen Jeep Cherokee mit 170-PS-Diesel und Neunstufen-Automatik. Dieses in ZF-Lizenz gebaute Getriebe verzögerte den Marktstart in Europa um einige Monate, die Jeep-Ingenieure sprechen verblümt von einer “technischen Herausforderung”. Umso gespannter sind wir auf diese Kombination. Prinzipiell wird der Selbstzünder mit 170 PS nur inklusive Allrad und Automatik angeboten, diese Version soll laut Jeep die europäischen Kunden am meisten ansprechen. Wer mit reinem Frontantrieb und Handschaltung zufrieden ist, bekommt solch eine Lösung nur beim 140-PS-Diesel.

Nicht alles Gold, was glänzt
Im Innenraum geht es geräumig zu, ins Heck passen zwischen 412 und 1.267 Liter Gepäck. Als clevere Idee erweist sich die längs verschiebbare Rücksitzbank. In der vordersten Stellung sollten dann freilich keine Kerls mit langen Beinen sitzen. Stichwort lang: Ab etwa 1,85 Meter Körpergröße bleibt mit dem großen, optionalen Panorama-Schiebedach kaum Luft über dem Scheitel. Zudem hat der Beifahrer Probleme mit seinem rechten Bein, weil genau dort das Radhaus ziemlich massiv in den Fußraum ragt. Am übersichtlich gestalteten Cockpit gibt es nichts auszusetzen, hier findet man sich schnell zurecht. Verbesserungspotenzial gibt es bei der Materialqualität: Der Kunststoff in der Mittelkonsole und den Türverkleidungen ist für diese Fahrzeugklasse schlicht zu billig. Bei der Oberfläche der Armaturentafel wird die Tradition von US-Autoherstellern fortgeführt, dass sich Leder wie Plastik anfühlt. Genug gemeckert, es gibt auch Positives zu vermelden: Stets serienmäßig ist ein Sieben-Zoll-Display zwischen den Instrumenten, der Touchscreen in der Mittelkonsole ist je nach Ausstattung zwischen fünf und 8,4 Zoll groß. Ein nettes Detail ist die optionale Ablageschale zwischen den Vordersitzen, in der Smartphones induktiv ohne Kabel aufgeladen werden.

Immer schön gemütlich
Aufgeladen liefert das Stichwort für den Motor: Der Zweiliter-Diesel mit 170 PS ist ein Bekannter aus dem Fiat-Konzern. Akustisch ist er nach dem Start präsent, hält sich ansonsten aber im Hintergrund. Wäre da nicht die Neunstufen-Automatik: Sie wechselt die Stufen zwar sanft, aber überraschend spät. Oftmals (und nicht nur am Berg) dreht der Motor zwischen 2.000 und 3.000 Touren, ehe der höhere Gang kommt. Das sorgt für ungewollte Präsenz der Geräuschkulisse und vermittelt einen etwas trägen Eindruck. Hinzu kommt ein unentschlossen agierendes Start-Stopp-System. Doch nicht nur der Blick auf den Tacho, sondern auch ins Datenblatt zeigt ein anderes Bild: Schon bei 1.750 Touren liegen die maximalen 350 Newtonmeter Drehmoment an. Ein Beschleunigungswert von 10,3 Sekunden auf 100 km/h ist aber eher Mittelmaß. Die nackten Zahlen beweisen, dass der auf einer neu entwickelten Frontantriebs-Plattform basierende Cherokee ein echtes Moppelchen ist: Das Leergewicht liegt bei fast zwei Tonnen. Zum Vergleich: Ein BMW X3 xDrive20d wiegt 150 Kilogramm weniger.

Hilfe an Bord
Auf der Autobahn erweist sich der dicke Cherokee-Häuptling als laufruhig, hier zeigt sich der Pluspunkt der vielen Gangstufen. Dazu passt die ausgewogene Federung, die selbst grobe Schlaglöcher ausputzt. Die elektronisch geregelte Servolenkung bietet eine präzise Rückmeldung, spricht aber rein gefühlt etwas verzögert auf Lenkbefehle an. Unter den Punkt Verzögerung fällt noch eine Sache, die uns im Rahmen der Testfahrt auffiel: Beim Gasgeben aus niedrigen Geschwindigkeiten ging ein leichter Ruck durchs Auto. Etwas mehr Geschmeidigkeit der Automatik wäre wünschenswert. In Sachen Assistenzsysteme fährt Jeep das volle Programm auf. Erhältlich sind unter anderem Helfer zum automatischen Einparken, zur Abstandregelung mit Stop-and-Go-Funktion oder auch zur Erkennung von Querbewegungen hinter dem Auto.

Vier gewinnt
Ein Jeep ohne Allrad ist wie eine Tofu-Frikadelle. Nicht das Wahre, weshalb es beim Cherokee zwei verschiedene Abstufungen gibt. Für die “zivilen” Versionen lautet das Zauberwort “Jeep Active Drive 1″: Hier wird die Kraft vollautomatisch zwischen den Achsen verteilt, hinzu kommt eine bremsenunterstützte Traktionskontrolle. Die Kraftverteilung zu den Hinterrädern erfolgt über ein elektrohydraulisch betriebenes Kupplungspaket im Hinterachs-Antriebsmodul. Wird der Vierradantrieb nicht benötigt, wird die Kardanwelle komplett abgekoppelt. Der Fahrer kann aus vier Fahrprogrammen wählen: Auto, Schnee, Sport und Sand/Schlamm.

Im Abseits
Wer es freilich in der Botanik drauf ankommen lassen will, muss zum Cherokee Trailhawk greifen. Ihn gibt es jedoch nur mit einem 3,2-Liter-V6-Benziner, dessen Drehmoment unter dem des 170-PS-Diesel liegt. Eine seltsame Entscheidung, die in erster Linie dem Weltmarkt geschuldet ist. Unter dem Namen “Active Drive Lock” fasst Jeep den erweiterten Allradantrieb des Trailhawk zusammen. Er sorgt dafür, dass dieser Cherokee im Gelände wirklich einiges kann, wie wir auf einer Mitfahrt feststellen. An Bord sind ein zweistufiges Transfergetriebe mit Geländeuntersetzung, ein Drehmomentmanagement und eine Hinterachsdifferenzialsperre. Im Modus “4 Low” verbindet das System beide Antriebswellen miteinander, die Untersetzung beträgt 2,92, das ESP wird abgeschaltet. Neu ist auch ein fünftes Fahrprofil für felsigen Untergrund, wobei sich die Differenzialsperre automatisch aktiviert. Zu guter Letzt stehen eine Berganfahr- und -abfahrhilfe bereit. Als Besonderheit kann der Fahrer ein Tempo zwischen 1,6 und 8,5 km/h einstellen, in dem der Wagen ohne Pedalbetätigung bergauf oder bergab kriecht.

Nicht billig, aber preiswert
Die Preise für den ab sofort erhältlichen Jeep Cherokee starten bei 34.800 Euro für den kleinen Diesel mit Frontantrieb. Sein größerer Bruder mit Allrad und Automatik kostet mindestens 40.500 Euro. Dafür sind 17-Zöller, eine Zwei-Zonen-Klimaautomatik, ein Tempomat und ein Infotainment-System mit Fünf-Zoll-Touchscreen inklusive. Für weitere 5.000 Euro heißt die Ausstattung “Limited” und beinhaltet unter anderem 18-Zoll-Alus, Bi-Xenon-Scheinwerfer, eine Rückfahrkamera, belüftete und beheizte Ledersitze vorne sowie den 8,4-Zoll-Touchscreen. 45.500 Euro sind eine schöne Stange Geld, relativieren sich aber mit Blick auf die Konkurrenz. Ein ähnlich ausgestatteter BMW X3 xDrive20d mit 190 PS kostet rund 6.000 Euro mehr. Wen es mit dem Jeep Cherokee Trailhawk in die Berge zieht, der sollte mindestens 48.000 Euro bereithalten. Kurios: Seine Anhängelast liegt mit 2,2 Tonnen unter den 2,5 Tonnen der anderen Versionen.
(rh)

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