Lissabon, 9. Mai 2014
Aus Raider wurde Twix, sonst änderte sich nix. Was wäre, wenn es umgekehrt gewesen wäre, also wenn plötzlich ein Müsli- statt einem Schokoriegel unter gleichem Namen verkauft worden wäre? Die Begeisterung unter den Stammkunden hätte sich in Grenzen gehalten. Eine ähnliche Veränderung gibt es nun beim Nissan X-Trail. Das SUV mit Ecken und Kanten wurde zu einem rundlichen Auto à la Qashqai, das aber immer noch den Namen X-Trail trägt. Warum dieser Radikalschwenk? Ein Blick in die Verkaufsstatistik erklärt es: Gerade mal 1.245 X-Trail wurden im Jahr 2013 in Deutschland verkauft, deutlich weniger als etwa vom Toyota RAV4 oder Honda CR-V. Ob die am 22. Juli 2014 startende dritte Generation des X-Trail mehr Potenzial hat, haben wir bei einer ersten Ausfahrt erkundet.
Große Ähnlichkeit zum Qashqai
Wer kein Nissan-Kenner ist, verwechselt den neuen X-Trail leicht mit dem ebenfalls noch taufrischen Qashqai. Neben der ähnlichen Optik gibt es noch viel mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Autos, die beide auf der neuen Konzernplattform CMF (Common Module Family) basieren. So erhalten sie ähnliche Motoren, den gleichen Allradantrieb, ein fast identisches Fahrwerk, und auch bei den elektronischen Assistenten und beim Kofferraumkonzept gibt es deutliche Parallelen. Der größte Unterschied ist wohl, dass der X-Trail mit 4,64 Meter spürbar länger ist, und dass es ihn optional mit sieben Sitzen gibt. Insofern beerbt der neue X-Trail eher den auslaufenden, siebensitzigen Qashqai+2 als den nominellen Vorgänger.
Weiche Sitze und Armpolster
Im Cockpit ist die Veränderung gegenüber dem alten X-Trail ebenso deutlich wie außen. Dominierte hier bisher der rechte Winkel, so sieht der neue Fahrerplatz mehr nach Limousine aus und ist gefälliger. Die Polsterung an der Armauflage in den Türen und zwischen den Sitzen fällt sehr weich aus – sie soll “bis zu achtmal dicker” sein als bei der Konkurrenz. Die Materialien passen aber nicht überall gut zusammen, so wird die schwarzglänzende Mittelkonsole mit matten, grauen Tasten kombiniert. Auch würde die Carbonleiste besser in ein sportliches Fahrzeug passen. Die Sitze wurden laut Nissan gemeinsam mit der NASA entwickelt. Eine Verbindung zur Welt der Astronauten hört sich natürlich immer gut an. Das Gestühl soll auf langen Fahrten vorzeitiges Ermüden verhindern, bietet uns aber zu wenig Seitenhalt.
Viel Platz in Reihe zwei, benutzbare Reihe drei
Positiver ist das Bild im Fond. Hier ist sehr viel Platz für die Insassen, wenn man die Rückbank ganz nach hinten schiebt. Die um etwa 20 Zentimeter verschiebbare Rückbank ist eine Seltenheit bei SUVs. Hinter der Fondbank gibt es zwei Alternativen. Bestellt man den Fünfsitzer, findet sich hier ein raffiniertes System zur Einteilung des Kofferraums: Zwei Einlegeböden können in unterschiedlichen Höhen oder auch vertikal eingesetzt werden. Wählt man den Siebensitzer, entfällt dieses System, denn die beiden Zusatzsitze in Reihe drei werden in den Boden geklappt, wenn sie nicht benötigt werden. Der Kofferraum fasst 550 Liter, etwas weniger als bei den Konkurrenten Toyota RAV4 und Honda CR-V. Das Volumen bei umgeklappten Rücksitzen wurde noch nicht bestimmt. Den Raum in Reihe zwei haben wir schon gelobt, aber auch ganz hinten ist mehr geboten als bei vielen anderen Siebensitzern. Sogar Erwachsene haben hier Raum. Sitzriesen stoßen allerdings oben an den Dachhimmel.
Zu schwacher 130-PS-Diesel
Mit dem erstaunlichen Innenraumangebot sind die positiven Aspekte des X-Trail leider größtenteils abgehandelt. Kommen wir zu Antrieb, Fahrwerk und was es sonst noch gibt. Das Motorenangebot im X-Trail ist sehr überschaubar: Zum Marktstart gibt es ausschließlich einen 1.6 dCi mit 130 Diesel-PS, wobei man die Wahl zwischen Vorderrad- und Allradantrieb hat. Im Jahr 2015 soll noch ein 163 PS starker 1.6 DIG-T hinzu kommen. Der aus dem Qashqai und etlichen Renault-Modellen bekannte Diesel ist für den 1,6 Tonnen schweren X-Trail zu schwach. Vor allem im oberen Geschwindigkeitsbereich lässt er das Beschleunigen zum Geduldsspiel werden. 11,0 Sekunden braucht der Allradler, um Tempo 100 zu erreichen, gefühlt dauert es noch länger. Außerdem leidet der X-Trail unter einer Anfahrschwäche: Wer beim Anfahren gewohnheitsmäßig wenig Gas gibt, kommt nur schwer vom Fleck.
Allradantrieb mit Wahlmöglichkeiten
Während es den alten X-Trail ausschließlich mit Allradantrieb gab, kann man nun zwischen 2WD und 4WD wählen. Beim Allradler kann man mit einem Drehschalter zwischen den drei Einstellungen 2WD, Auto und Lock wählen. Im Auto-Modus wird die Kraft automatisch bei Bedarf nach hinten umgeleitet. Versucht man in diesem Modus auf Kies bergauf anzufahren, macht die Vorderachse etwa eine halbe Umdrehung, dann gelangt die Kraft nach hinten, und der X-Trail legt los. Dabei hilft eine Berganfahrkontrolle, die den Wagen zwei Sekunden lang festhält, sodass man genug Zeit hat, die Kupplung kommen zu lassen. Ob Allrad- oder Frontantrieb, der Diesel im X-Trail hält nur die Euro-5-Norm ein, obwohl für neue Modelle schon ab September 2014 die Euro-6-Norm vorgeschrieben ist. Eine Version, die die neue Norm erfüllt, ist nicht vor Mai 2015 zu erwarten, heißt es bei Nissan. Der Spritverbrauch des 4WD ist nur einen knappen halben Liter höher als beim 2WD, er wird mit 5,3 Liter angegeben. Wie so oft, zeigte der Bordcomputer nach unseren Testfahren um die Hälfte mehr an, nämlich 7,3 Liter – und zwar ohne übermäßig sportliche Fahrweise.
Kein Talent fürs sportliche Fahren
Zum sportlichen Fahren verleitet der X-Trail auch kaum. Das liegt nicht nur am wenig temperamentvollen Motor. Auch die sehr leichtgängige Lenkung macht keinen exakten Eindruck, und das Fahrwerk erweist sich auf kurvigen Strecken oder beim simulierten Pylonen-Wedeln als arg wankanfällig. Und das, obwohl hier in allen Versionen eine aufwendige Multilink-Hinterachse an Bord ist – beim neuen Qashqai haben die Fronttriebler eine einfachere Verbundlenkerachse. Als besserer Partner erweist sich der etwas weich abgestimmte X-Trail auf der Autobahn. Einen Beitrag zum ruhigen Dahingleiten leisten die serienmäßigen adaptiven Dämpfer, die sich allerdings nicht in der Härte verstellen lassen.
Notbremssystem, aber kein Abstandstempomat
Löblich ist, dass im neuen X-Trail eine erkleckliche Anzahl an Sicherheitssystemen Einzug gehalten hat. So gibt es ein radarbasiertes Notbremssystem, eine Müdigkeitserkennung, einen Spurverlassenswarner, einen Totwinkelassistenten und mehr. Ganz mit Premiummarken gleichgezogen hat Nissan aber noch nicht. So erstaunt, dass es im X-Trail keinen Abstandstempomaten gibt, obwohl man mit dem Notbremssystem und dem Spurverlassenswarner ja genug Sensoren dafür an Bord hätte. Die Ingenieure arbeiten daran, sagen die Nissan-Fachleute. Außerdem ist das Piepsen beim Verlassen der Spur ohne Blinkereinsatz arg nervig. Diesen Assistenten wird man wohl nur bei langen Autobahn-Nachtfahrten anschalten. Dafür muss man sich allerdings durch ein paar Menüs hangeln, statt einfach einen Knopf zu drücken wie bei den meisten Autos.
Ab 26.550 Euro
Die Preise für den X-Trail beginnen bei 26.550 Euro. Dafür erhält man die Grundversion Visia mit 17-Zoll-Alufelgen, elektrischer Parkbremse, Tempomat, adaptiven Dämpfern, Parkpiepsern rundum, Notbremssystem, Spurverlassenswarner und sogar Verkehrszeichenerkennung. Die dritte Sitzreihe kostet 800 Euro Aufpreis, der Allradantrieb 2.000 Euro. Als Konkurrenten sieht Nissan vor allem den Toyota RAV4 sowie den Honda CR-V an. Die 124 beziehungsweise 120 PS starken Konkurrenten sind ab 25.950 Euro (RAV4) oder ab 25.990 Euro (CR-V) zu haben.
(sl)
- Zur Bildergalerie (30 Bilder)
- Immer informiert mit AutoNEWS: Mit einem Klick zum Newsletter
Leave a Reply