Barcelona, 13. Mai 2014
Manchmal können Erfolgsgeschichten ganz schön sachlich klingen: 021A. Das ist der interne Code für den Wagen, der vor 30 Jahren Seat aus dem Schlamassel holte: der Ibiza. Grund genug für uns, hinter dem Steuer der Urversion auf Zeitreise zu gehen.
Zoff mit Italien
Da wir gerade von Schlamassel reden: Der Ibiza wird in eine turbulente Phase der Firmengeschichte geboren. Seit 1953 baut Seat Autos, die bis Ende der 1970er-Jahre mehr oder minder modifizierte Fiat-Modelle sind. Dann rutscht die italienische Mutter in die Krise und löst die Verbindung. Juan Miguel Antonanzas, damaliger Seat-Boss, sieht düstere Aussichten am Himmel: “Wir sind die Geiseln von Fiat. Es wird schlimm, wenn sie den Hahn zudrehen.” Mitte 1981 ist es soweit, der spanische Staat übernimmt die Anteile von Fiat. Doch Seat steckt in der Klemme: Es gibt kein eigenes Exportnetz und die bestehenden Fiat-Modelle sind nicht nur größtenteils veraltet, sondern müssen auch grundlegend verändert werden. Darauf besteht Fiat, noch heute erinnert ein zweifarbiger Seat Ronda in der Firmensammlung an den Gerichtsprozess: Alle gegenüber dem Fiat Ritmo veränderten Teile wurden gelb lackiert, der Rest schwarz. Der Aufwand lohnt sich, Spanien gewinnt.
Große Namen an Bord
Trotzdem wissen die Verantwortlichen, dass mit dieser Modellpalette auf Dauer kein Blumentopf zu gewinnen ist. Ein neues Fahrzeug muss her. Die Bodengruppe des Ronda bildet die Grundlage, den Rest besorgen namhafte Experten. Giugiaro kümmert sich um das Design und verliert als Dank dafür nach der Ibiza-Premiere die meisten seiner Aufträge für Fiat. Das allererste Gipsmodell des Ibiza (damals noch S-1 genannt) wird nach Deutschland zu Karmann gebracht. Dort entstehen die 1:1-Prototypen und die Karosseriewerkzeuge.
Flotter Wind durch Porsche
Ursprünglich hätte der Ibiza gar nicht so heißen sollen: Angedacht war Brisa, doch man erinnert sich rechtzeitig an den Citroën Visa. Deshalb lässt man sich 22 bekannte spanische Orte wie Ibiza, Toledo oder Malaga schützen. Apropos wohlklingende Namen: Für die Motoren des Ibiza zeichnet Porsche verantwortlich. Dabei handelt es sich um Benziner mit 1,2 und 1,5 Liter Hubraum. Lediglich der kleine Ottomotor mit 900 Kubik und ein 1,7-Liter-Diesel stammen noch von Fiat. Um den neuen Wagen aufzuwerten, möchte Seat gerne einen Porsche-Schriftzug verwenden. Tatsächlich werden später viele Kunden die Worte “System Porsche” auf dem Motor lesen, was die Spanier immerhin sieben Mark pro verkauftem Fahrzeug kostet.
Der Klare aus dem Süden
Im Juli 1984 wird schließlich der erste Ibiza in Spanien ausgeliefert, zunächst nur als Dreitürer. Solch ein Fahrzeug steht für unsere Probefahrt in der Gegenwart bereit, allerdings als 100 PS (auf anderen Märkten 90 PS) starker SXi. Doch trotz roter Zierstreifen und Alufelgen ist die klare Giugiaro-Linie unverkennbar. Kein Schnickschnack stört die Seitenansicht, die kantigen 1980er-Jahre strömen aus jeder Ecke des Ibiza. Gut so, denn die großen Fenster ermöglichen eine sensationelle Rundumsicht. Im krassen Kontrast dazu stehen die winzigen Außenspiegel. Und noch etwas fällt auf: Obwohl der Ur-Ibiza nur 3,64 Meter lang ist, wirkt er deutlich größer. Sobald man sich hinter das Lenkrad mit dem rauhen Kunstlederbezug geklemmt hat, weiß man, warum das von damaligen Testern oft als zu flach stehende Volant so sein muss. Links und rechts wuchern nämlich eigenartige Bediensatelliten hervor. Per Schiebe- und Drückschalter wird vom Blinker bis zum Scheibenwischer alles bedient. Ganz klar, hier steckt noch nicht VW drin, auch wenn viele den ersten Ibiza mit VW assozieren.
Gut in Form
Nur gut, dass wir auf einer alten Rennstrecke nahe Barcelona fahren und an den Blinker keine Gedanken verschwenden müssen. So können wir uns auf den Antrieb konzentrieren. Und der macht unerwartet viel Spaß: Flott zieht der 100-PS-Motor mit 1,5 Liter Hubraum den leichten Ibiza vorwärts, dazu passen die kurzen Wege der Fünfgang-Schaltung. Nur die Lautstärke des Gesamtpakets ist nicht mehr das, was man heute gewohnt ist. Kein Wunder, dass der damalige Porsche-Chef Peter Schutz gemeinsam mit den Spaniern über einen preiswerten Sportwagen nachdachte. Doch das Projekt versandete in der Planungsphase.
Offen und herrlich
Dass Seat auch anders konnte, zeigen zwei besondere Autos, die extra für uns aus der Schatzkammer geholt wurden. Nummer eins ist ein recht adrettes Ibiza Cabrio ohne Bügel. Daran probierten sich zwischen 1986 und 1991 diverse Firmen im Auftrag der Spanier, es blieb bei drei offiziellen Prototypen. Sehr schade, aber zu dieser Zeit hatte bereits VW das Sagen und ein Golf Cabrio im Programm. Wer sich in Deutschland dennoch seinen Ibiza aufschneiden lassen wollte, konnte zur Firma Rieger gehen, dort entstanden rund 50 Fahrzeuge.
Kraft der zwei Herzen
Sehr viel krasser ist die Nummer zwei, der Ibiza Bimotor. Ihn baute Seat Mitte der 1980er-Jahre für die Schotterpisten der spanischen Rallye-Meisterschaft. Radikaler geht es kaum, was man spätestens im hautengen Beifahrersitz inklusive Fünfpunktgurt spürt. Der ganze Wagen wurde innen fast komplett ausgeräumt, auf dem sprichwörtlichen Armaturenbrett ist alles doppelt vorhanden: zwei Drehzahlmesser, zwei Startknöpfe und so weiter. Behutsam werden die zwei 1,5-Liter-Motoren mit jeweils 140 PS gestartet. Erst erwacht das Triebwerk im Heck zum Leben, dann brüllt es auch von vorne. Schon einigen Metern tobt das Inferno im Innenraum, mangels irgendeiner Dämmung hämmert und kreischt der Ibiza Bimotor seine Kraft zwischen die dünnen Plexiglasscheiben. Kommunikation? Vergessen Sie es. Nur Zeichensprache hilft.
Nachfolger mit VW-Genen
Zur Beruhigung steigen wir in die zweite Ibiza-Generation ein, die 1993 als VW-Konstruktion auf den Markt kam. Hier atmet im Innenraum der Geist des Polo III und Golf II. Beim Anlassen dringt der typische Klang der VW-Motoren jener Zeit ans Ohr. Schon den ersten Ibiza hatten die Wolfsburger in die Mangel genommen und ihm 1991 eine zeitgeistigere Optik samt neuem Cockpit inklusive richtiger Lenkstockschalter verpasst. Mit Erfolg: Auf seine alten Tage wurde der gut ausgestattete Ibiza I zum Verkaufserfolg in den damals neuen Bundesländern. Erste Kontakte zu VW hatte Seat übrigens im Jahr 1980 geknüpft, ab 1982 wurde (und wird) der Polo in Spanien gefertigt. Endgültig zum VW-Konzern gehört Seat seit Juni 1986, jenem Jahr, in dem Spanien der damaligen EG beitritt. Und der Ibiza? Er rettet auch noch lange danach den Allerwertesten der Marke Seat. Über 1,3 Millionen Fahrzeuge der ersten Ibiza-Generation wurden gebaut, rund fünf Millionen insgesamt. Heute sind frühe Modelle sehr selten geworden. Aber nicht teuer: Günstiger bekommt man nirgendwo die außergewöhnliche Mischung aus Giugiaro-Design und Porsche-Motor. Höchste Zeit für Sunshine Reggae im Ibiza.
(rh)
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