Jaguar XFR-S Sportbrake im Test: Für Individualisten

June 3, 2014

Ab Juli 2014 ist der Jaguar XF Sportbrake auch in der supersportlichen Version XFR-S mit 550 PS erhältlich

Der Kombi ist fast fünf Meter lang und wiegt runde zwei Tonnen

Nach hinten verrät sich der XFR-S durch den auffälligen Diffusor

Nürburg, 2. Juni 2014
Welchen Wagen würden Sie sich kaufen, wenn Sie runde 100.000 Euro ausgeben könnten? Einen Porsche 911? Eine Mercedes S-Klasse? Wahrscheinlich eher solche Autos als ausgerechnet einen Kombi. Und dennoch existieren Fahrzeuge wie ein Mercedes E 63 AMG T-Modell oder ein Audi RS 6 Avant: Autos für sechsstellige Beträge, die über 500 PS bieten, mit denen man aber auch mal eine Kommode oder einen Sack Torf transportieren kann. Oder ein Surfbrett, das hören die Marketing-Leute der Hersteller lieber. Nun kommt der Jaguar XFR-S Sportbrake zum exklusiven Club der Sportkombis hinzu. Wir haben ihn getestet.

Vehemente Beschleunigung
Ab Juli 2014 kann man den Mittelklassekombi XF Sportbrake nicht mehr nur in verschiedenen Dieselversionen, sondern auch als XFR-S kaufen. Darin arbeitet ein Fünfliter-V8 mit Kompressor, der nicht weniger als 550 PS liefert. Auch wenn der Motor zwei Tonnen Leergewicht bewegen muss, beschleunigt mein Macho-Kombi vehement. Sobald die Bahn frei ist, drücke ich aufs Gaspedal, und vergesse schnell, dass ich einen Transport-Spezialisten fahre: Der Beschleunigungsdruck im Rücken ist phänomenal. Dafür sorgt das maximale Drehmoment von 680 Newtonmeter, das von von 2.500 bis 5.000 Touren zur Verfügung steht. Eine direkte Kontrolle über die Drehzahl hat man allerdings nicht, denn im Standardmodus nimmt mir die Achtgang-Automatik die Gangwahl ab.

Die Taste mit der Rennflagge
Wer in die Gangwahl eingreifen will, kann das per Schaltwippen tun. Wähle ich dazu noch den S-Modus des Getriebes, bleibt der gewählte Gang auch dann drin, wenn ich nicht mehr beschleunige. Ein M wie manuell wäre für diese Betriebsart eigentlich die richtigere Bezeichnung. Aber da ich ohnehin nicht ständig selbst schalten will, aktiviere ich den D-Modus. Dazu drücke ich noch die Taste mit der Rennflagge und befinde mich im Dynamik-Modus. Besonders erfreulich daran ist, wie prompt das Auto auf Beschleunigungsbefehle reagiert. Andere Automatikgetriebe brauchen oft eine Ewigkeit, um zurückzuschalten, doch der Jaguar stürmt ohne Rumgezicke los, allerdings ohne besonderen Sound: Ein barbarisches Röhren, wie ich es bei dieser Leistung erwartet hätte, ist dem XFR-S nicht zu entlocken.

Warum nur kein Allradantrieb?
Dafür lässt sich zum Beispiel beim Linksabbiegen aus dem Stand ein Reifenquietschen nicht immer vermeiden – was zugegebenermaßen vor allem an meiner Fahrweise liegt. Aber auch ein wenig am Auto, denn anders als die deutsche Konkurrenz verzichtet Jaguar auf einen Allradantrieb. So dürfte die Traktion bei Nässe und Glätte schlechter sein. Auf trockenem Asphalt fällt diesbezüglich keine Schwäche auf. Doch der fehlende Allradantrieb ist wohl der Grund, warum mein Jaguar rund eine Sekunde länger als der Audi und der Mercedes für den üblichen Tempo-100-Sprint braucht. Warum also kein Vierradantrieb? Da es eine AWD-Variante des XF gibt, scheiden technische Gründe aus. Und die angepeilten Märkte – darunter der Snow Belt im Nordosten der USA und die Schweiz – sind durchaus allradaffin. Bei Jaguar heißt es, der Entwicklungsaufwand wäre angesichts der zu erwartenden Stückzahlen zu groß. Restlos befriedigend ist die Antwort nicht. Vielleicht liegt es daran, dass der Preis dann nochmal etwa 3.000 Euro höher sein müsste und Jaguar damit die deutschen Konkurrenten hinter sich ließe?

Ziemlich durstig
Auch der höhere Verbrauch könnte ein Grund sein. Schon bei meinem hinterradgetriebenen Kombi gibt Jaguar 12,7 Liter je 100 Kilometer an. Das sind etwa zwei Liter mehr als bei den deutschen Kombis. Bei unserer – zugegebenermaßen dynamisch absolvierten – Testfahrt brauchten wir laut Bordcomputer sogar 18,3 Liter. Um die Hälfte mehr also als im Datenblatt steht, doch das ist nichts Besonderes, es geht mir bei fast jedem Test so. Befremdlich ist aber: Der Kombi hält die für neue Modelle bald verpflichtende Euro-6-Abgasnorm noch nicht ein.

Adaptives Fahrwerk: Straff, aber nicht störend hart
Das serienmäßig mit adaptiven Dämpfern ausgestattete Fahrwerk liegt erwartungsgemäß eher auf der straffen Seite. Martialisch hart würde ich den Kombi nicht nennen. Aber für sehr lange Autobahnfahrten würde ich einen komfortableren Wagen bevorzugen, auch wenn man mit dem Jaguar wohl schneller am Ziel ist. Einstellen kann man die Dämpfung nur durch die An- oder Abwahl des Dynamikmodus, wobei der Unterschied in puncto Fahrwerk gering ist. Die Lenkung ist unabhängig vom gewählten Modus einigermaßen direkt, ohne dass sich ein besonderer Lenkspaß einstellt wie bei manchen Sportwagen oder Roadstern.

Kühles Cockpit mit Verarbeitungsschwächen
Das Cockpit sieht auf den ersten Blick gut aus. Hier dominiert ein kühles Ambiente mit einem metallischen Grundton, was gut zu dem sportlichen Auto passt. Sehr gut gefällt mir der immer noch außergewöhnliche Drehknopf zur Einstellung des Getriebemodus. Warum macht das eigentlich sonst keiner, es sieht doch so viel besser aus als ein konventioneller Wahlhebel? Es gibt aber auch gravierende Schwächen im Jaguar-Cockpit. So ist das Navi nicht plan ins Armaturenbrett integriert, sondern in einer unschönen Vertiefung. Außerdem fallen seltsame Brüche in den Linien des Cockpits auf. Was sportliche Fahrer ebenfalls abturnt, sind die aus allzu billigem Plastik bestehenden Schaltwippen.

Gute Transportfähigkeiten
Positives zu sagen gibt es bei den Transporteigenschaften. Im Fond haben auch Erwachsene viel Platz. Und auch das Gepäckabteil macht einen guten Eindruck: Das Umklappen der Rücksitze geht über Zughebel links und rechts im Laderaum einfach von der Hand und der Ladeboden wird komplett eben. Die Heckklappe öffnet sich serienmäßig elektrisch, wobei sich die Öffnungshöhe einstellen lässt. Mit dem Sportbrake lassen sich 550 bis 1.675 Liter Gepäck transportieren. Während der Audi RS 6 Avant etwa gleichauf liegt, bleibt das E-Klasse T-Modell mit fast 2.000 Liter der Transportchampion der Klasse.

Konkurrenz: Günstiger, sprintstärker und sparsamer
Der XFR-S Sportbrake kostet 110.450 Euro. Im Vergleich zur Konkurrenz ist das mutig. Der Mercedes E 63 AMG 4Matic kostet 109.956 Euro, der Audi RS 6 Avant nur 107.900 Euro. Beide sind also etwas günstiger und haben Allradantrieb. Der niedrigere Verbrauch und die bessere Sprintzeit der Wettbewerber wurden schon angeführt. Als einziges Argument für den Jaguar bleibt die höhere Maximalgeschwindigkeit von 300 statt 250 km/h übrig. Für den Grundpreis erhält man bei Jaguar aber zumindest fast eine Vollausstattung. Von Ledersitzen bis Xenonlicht und elektrisch einstellbaren Sitzen bleibt kaum ein Wunsch offen. Navi und Rückfahrkamera sind allerdings separat zu bezahlen, und elektronische Assistenten sind in der Preisliste nur wenige zu finden. So fehlt etwa ein Notbremssystem komplett, und der Abstandstempomat sowie der Totwinkelwarner sind für die Topmotorisierung nicht erhältlich.
(sl)

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