Barcelona, 16. Juni 2014
Angesichts der immer noch geringen Reichweiten und der hohen Anschaffungskosten sind Elektroautos bisher kein großer Verkaufsrenner, um es mal ganz vorsichtig zu formulieren. Und wegen dieser offensichtlichen Nachteile bin ich, ehrlich gesagt, inzwischen skeptisch, wenn es darum geht, ein weiteres Exemplar der Gattung zu testen. Doch der am 7. Juli 2014 startende Nissan e-NV200 hat als elektrisch angetriebener Kleintransporter zumindest ein spezielles Konzept. Also frisch ans Werk.
Für Profis und Privatleute
Nissan bezeichnet den e-NV200 als das Beste aus zwei Welten. Denn der Hersteller nahm den 109 PS oder 80 Kilowatt starken Elektroantrieb des Leaf und verpflanzte ihn in den Kleintransporter NV200. Das Ergebnis ist ein Auto, das Nissan zu 70 Prozent an Geschäftskunden verkaufen will und zu 30 Prozent an Privatleute. Handwerker und Lieferanten werden das Auto als zweisitzigen Kastenwagen bestellen, die Taxis, Shuttles und Privatautos sollen als verglaste “Kombi”-Version oder als ebenfalls verglaste, aber noch luxuriösere Variante Evalia abgesetzt werden.
Deutlich länger als die Normalversion
Der normale NV200 hat etwa die Abmessungen des bekannteren VW Caddy. Die Elektroversion ist mit 4,56 Meter gleich 16 Zentimeter länger. Für den Innenraum bringt das null, nada, niente, denn allein der Vorderwagen ist dafür verantwortlich. Erstens musste das in der Fahrzeugnase installierte Ladegerät hineinpassen. Zweitens erfordert das rund 200 Kilo höhere Gewicht eine längere Knautschzone. Der rund 1,6 Tonnen wiegende Evalia wird wie gesagt vom 109 PS starken Elektromotor aus dem Leaf vorangetrieben. In der Stadt ist man damit gut motorisiert, was vor allem am ordentlichen Drehmoment von 254 Newtonmeter liegt – gefühlt ist der Vorwärtsdrang noch stärker, als die Zahl es sagt.
Eco- und B-Modus
Das gilt allerdings nur, solange die Eco-Taste nicht gedrückt ist. Tut man das, wird das Auto spürbar lahmer. Außerdem gibt es am Getriebe-Wahlhebel – er fällt anders als beim Leaf ganz konventionell aus – neben der D-Stellung noch einen B-Modus für Break oder Bremsen. Letzterer ist besser für die Stadt oder Bergabfahrten geeignet. Denn hiermit wird eine kräftigere Rekuperation gewählt, und das erspart dem Fahrer Bremsarbeit. Wir hätten uns aber eine noch stärkere Bremsenergie-Rückgewinnung gewünscht – so stark wie beim BMW i3. Bei dem Münchner Minivan kommt man im Normalfall ganz ohne Bremspedal aus: Man geht einfach vom Gas und kommt problemlos vor der Ampel zum Stehen.
Flink bei Stadttempo, lahm auf der Autobahn
So schön der Vorwärtsdrang des e-NV200 bei Stadttempo ist: Jenseits von 50 km/h lässt der Elan bald nach. In Zahlen: Der Sprint auf Tempo 100 dauert “nur” 14 Sekunden und damit eine halbe Sekunde kürzer als bei der 1,5-Liter-Dieselversion, die Höchstgeschwindigkeit aber beträgt nur 123 km/h. Verantwortlich für diese Charakteristik ist die gegenüber dem Leaf veränderte Antriebsübersetzung: Sie sorgt für einen schnelleren Ampelsprint, aber auch eine geringere Höchstgeschwindigkeit. Klar, ein Elektroauto ist wegen der geringen Reichweite primär für die Stadt gemacht. Aber wer zum Beispiel öfter die Autobahnstrecke von München zum weit außerhalb gelegenen Flughafen fährt, wird sich gedulden müssen.
Ruppiges Fahrwerk mit Blattfedern hinten
Hinzu kommt, dass einem der e-NV200 auch dann Stöße verabreicht, wenn die Fahrbahndecke sehr gut aussieht. Dafür ist das Fahrwerk verantwortlich. Vorne basiert es zwar auf der Pkw-Achse des Leaf, aber hinten hat der e-NV200 die Starrachse mit Blattfedern geerbt, die auch in den konventionell angetriebenen Versionen arbeitet. Vorteil: Diese robuste Lösung bietet eine etwas höhere Zuladung von 579 Kilo im Fall des Evalia oder 770 Kilo beim Kastenwagen. In Kurven profitiert der Evalia von der schweren Batterie: Obwohl das Auto höher als breit ist, wankt es in der Kurve durch seinen tiefen Schwerpunkt viel weniger als andere Autos, die über 1,80 Meter hoch sind.
Kofferraum wie bei der konventionellen Version
Der Kofferraum ist gegenüber dem normalen NV200 unverändert. Das heißt, er fasst in fünfsitziger Konfiguration bei dachhoher Beladung 2.300 Liter und maximal passen 3.100 Liter hinein. Der letzte Wert gilt für den Evalia bei dachhoher Beladung und umgeklappten Fondsitzen. Dabei werden zuerst die Lehnen nach vorne gefaltet, und dann die gesamten Möbel in die Senkrechte gekippt – es handelt sich also um so genannte Tumble- oder Wickel-Sitze. Der Laderaum dahinter hat einen ebenen Boden. Die Beladung wird durch die extrem niedrige Ladekante vereinfacht. Während sie sich etwa bei einem Nissan Qashqai auf Höhe der Oberschenkel-Mitte befindet, so liegt die Ladeebene beim e-NV200 unterhalb der Kniescheibe. Eingeladen wird beim Evalia serienmäßig über eine Heckklappe, nicht über Hecktüren. In den Fond steigt man über zwei serienmäßige Schiebetüren ein. Der Sitzkomfort hinten ist gut. Auch mit dem Cockpit kann man leben. Allerdings ist das Armaturenbrett aus sehr einfachem Hartplastik.
Rund 170 Kilometer Reichweite
Der Normverbrauch liegt bei 16,5 Kilowattstunden (kWh) pro 100 Kilometer. Bei unseren beiden Ausfahrten brauchten wir laut Bordcomputer 17,9 beziehungsweise 17,6 kWh. Die elektrische Energie kommt aus einem Lithium-Ionen-Akku am Unterboden, der 24 kWh speichern kann. Die Reichweite gibt Nissan beim Evalia mit 167 Kilometer an. Das reicht laut Hersteller aus, da immerhin 35 Prozent der kommerziell eingesetzten Transporter täglich nie mehr als 120 Kilometer fahren.
Automatische Batteriekühlung beim Schnellladen
Für das Aufladen gibt es drei Optionen. An der normalen Haushaltssteckdose (einphasiger Wechselstrom, 3,3 Kilowatt) dauert es rund zehn Stunden. An einer 22-Kilowatt-Ladestation verkürzt sich das Laden auf vier Stunden. Am schnellsten geht es am Gleichstrom-Schnelllader nach dem Chademo-Standard: Hier wird in 30 Minuten eine 80-Prozent-Ladung erreicht. Vom letzteren Typ gibt es laut Nissan derzeit 60 Stationen in Deutschland. Um die Batterielebensdauer nicht zu verringern, wird am Chademo-Lader nicht über 80 Prozent geladen. Eine Besonderheit des e-NV200 ist eine automatisch anspringende Kühlfunktion beim Quick Charging: Die Batterie wird mit Luft aus der Klimaanlage gekühlt. Denn Nissan geht davon aus, dass die vielen Geschäftskunden die Schnellladefunktion häufiger in Anspruch nehmen als die private Kundschaft beim Leaf.
Kein Anschluss für eine Bohrmaschine
Als weitere Besonderheit preist Nissan das bidirektionale Laden an, auf das der e-NV200 vorbereitet sei. Die Grundidee ist, dass man den Strom der Fahrzeugbatterie nutzen kann, um Elektrogeräte zu betreiben. So könnte der Handwerker seine Bohrmaschine damit füttern, der picknickwillige Privatnutzer sein Kühlgerät. Richtig umweltfreundlich wird es, wenn man an der Fotovoltaikanlage des Arbeitgebers Solarstrom tankt und dann zu Hause den Stromrest sinnvoll nutzt. Doch es gibt einen Haken: Das Steuergerät ist nicht gerade klein, es kommt erst im Herbst 2014 auf den Markt und wird laut Produktmanager Joachim Köpf deutlich über 5.000 Euro kosten – also weder was für Privatleute noch für den kleinen Handwerker.
Schlappe 20.000 Euro teurer als ein Diesel
Dass Elektroautos sich für Privatleute nur in Extremfällen wirklich rentieren, dürfte klar sein – eine gehörige Portion Enthusiasmus für den umweltfreundlichen Antrieb, gepaart mit dem entsprechenden Budget, ist also Voraussetzung. Doch zuerst die Zahlen. Als fünfsitziger Kombi ist der e-NV200 ab 34.458 Euro zu haben, als noblerer Evalia Tekna ab 43.752 Euro. Zum Vergleich: Ein Evalia Tekna 1.5 dCi mit 110 PS kostet 23.280 Euro, ist also schlappe 20.000 Euro günstiger.
Batteriemiete empfohlen
Produktmanager Köpf empfiehlt jedoch, die Batterie nur zu mieten, und zwar aus mehreren Gründen: Der Anschaffungspreis sinkt auf 36.735 Euro. Fällt die Batteriekapazität im Laufe der Jahre unter 75 Prozent, wird der Akku vom Händler kostenlos repariert oder ausgetauscht. Außerdem ist das Abschleppen gratis, wenn man mal liegen bleibt. Und schließlich wird der Wiederverkauf erleichtert. Die Batteriemiete kostet bei einem Zwei-Jahres-Vertrag und maximal 25.000 Kilometer pro Jahr 1.656 Euro jährlich. Gegenrechnen kann man die nur etwa halb so hohen “Kraftstoff”-Kosten bei Strom: Beim e-NV200 zahlt man bei einem Strompreis von 30 Cent pro Kilowattstunde knapp fünf Euro für eine 100-Kilometer-Fahrt. Dieselbe Strecke kostet bei einem Evalia mit 110-PS-Diesel (7,3 Liter Normverbrauch, 1,37 Euro pro Liter Diesel) rund zehn Euro. Die Differenz von fünf Euro addiert sich bei 25.000 Kilometer jährlich auf 1.250 Euro. Zumindest bei normalen Stromkosten ist die Batteriemiete also teurer als die verringerten Spritkosten ausmachen. Außerdem sind die Anschaffungskosten etwa 13.000 Euro höher. Wie man es auch dreht und wendet: Ein e-NV200 ist kein Sparmodell. Das dürfte allerdings auch für die Alternativen gelten: den Renault Kangoo Z.E., den Citroën Berlingo Electric und den Peugeot Partner Electric.
(sl)
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