London, 2. Juli 2014
Braucht es so etwas? Anno 2004 waren nicht nur Fachleute beim Anblick des Mercedes CLS irritiert. Darf man bei dem sportlich gezeichneten Viertürer von einem viertürigen Coupé sprechen? Die Kundschaft sieht das nicht so eng, von der 2010 eingeführten zweiten Generation wurden bereits über 120.000 Fahrzeuge verkauft. Pünktlich zur Halbzeit gibt es jetzt ein Facelift. Was hat es gebracht?
Mehr S am Start
Allzu wüste Korrekturen hat sich Mercedes bei seinem Maßanzug auf vier Rädern verkniffen. Am deutlichsten wird die Kosmetik an der Frontpartie: Dort gibt es Änderungen am Stoßfänger, den so genannten Diamant-Grill und neue LED-Scheinwerfer. Sie rücken den CLS näher an das neue S-Klasse Coupé, obwohl er nach wie vor die Plattform der E-Klasse nutzt. Auf die Licht-Orgie ist Mercedes besonders stolz, Entwicklungsvorstand Thomas Weber entdeckt sogar seine lyrische Seite und spricht vom “fast menschlichen Blick, wenn der CLS seine Augen aufschlägt”. Gemeint ist das kurze blaue Leuchten der Tagfahrlicht- und Blinkeinheit, wenn das Auto geöffnet wird.
Eiserner Vorhang
Um sich die volle Licht-Dröhnung zu geben, werden aber 1.892 Euro Aufpreis für die so genannten Multibeam-LED-Scheinwerfer fällig. Inklusive sind dann eine Kamera an der Frontscheibe plus vier Steuergeräte, mit deren Hilfe die 24 Hochleistung-LEDs zielgerichtet gesteuert werden. Als erster Mercedes kann der CLS einen so genannten “Lichtvorhang” aufbauen, der die Straße bis zu 485 Meter weit bestrahlt. Das hat schon Flutlicht-Qualitäten, leider auch für zufällig vorbeikommende Fußgänger, die zum Flashmob werden. Darüber sind sich die Ingenieure im Klaren, sie sagen aber, dass so Personen (und das Reh auf der Straße) für den Fahrer früher sichtbar sind.
Zwischen den Stühlen
Über den Fortschritt in der Lichttechnik könnte man noch seitenlang dozieren, doch wir stehen vor ganz anderen Problemen: Welche Karosserievariante soll man nehmen? Seit 2012 gibt es den CLS auch als Shooting Brake, quasi ein schickeres, aber unpraktischeres T-Modell. Er wird in Deutschland mittlerweile häufiger gekauft als der viertürige CLS. Beim Blick in den Gepäckraum des Shooting Brake entdecken wir zunächst den 4.700 Euro teuren Holzboden, der wegen Kratzgefahr meistens abgedeckt wird. Er ist wie das Spiel der spanischen Fußball-Nationalmannschaft: Schön, aber nutzlos. Überhaupt: Wer sein Mittagessen gerne im Möbelhaus zu sich nimmt, sollte besser zum T-Modell der E-Klasse greifen. Die 590 bis 1.550 Liter des Kombi-CLS (da ist es, das böse K-Wort) klingen gut, sind aber durch die nach hinten abfallende Dachlinie eher bedingt nutzbar.
Gut Holz
Andererseits würde selbst eine Beladung bis zum Dach egal sein, denn schon ohne Gepäck ist die Sicht nach hinten ziemlich bescheiden. Selten waren 476 Euro für eine Rückfahrkamera besser angelegt. Trotzdem wirkt der Shooting Brake im direkten Vergleich mit der Limousine im Innenraum einen Hauch luftiger, obwohl die Abmessungen nur um Millimeter verschieden sind. Apropos Innenraum: Im Cockpit thront nun recht massiv ein Acht-Zoll-Bildschirm auf der Mittelkonsole dicht vor dem Fahrer. Schön wirkt diese aufgesetzte Lösung nicht. Ohne Fehl und Tadel ist die vorzügliche Verarbeitung der Materialien im Innenraum, lediglich das aufpreisfreie Holz sollte man den optionalen Klavierlackleisten vorziehen.
Am laufenden Band
Ob Viertürer oder Shooting Brake: Das Motorenangebot reicht beim CLS künftig vom 220er-Diesel mit 170 PS bis zum mächtigen CLS 63 AMG S mit brachialen 585 PS. Für unsere erste Etappe wählen wir den 408 PS starken V8 im CLS 500. Um es kurz zu machen, er harmoniert prächtig mit der jetzt verbauten Neunstufen-Automatik. In Verbindung mit 600 Newtonmeter Drehmoment zwischen 1.600 und 4.750 Touren kommen beinahe Elektroauto-Gefühle auf. Das Getriebe verrichtet seine Arbeit sehr diskret, bei Tempo 120 liegen gerade einmal 1.400 Umdrehungen an. Wenn Geld keine primäre Rolle spielt und der leicht protzige AMG-Auftritt nicht sein muss, ist der 500er erste Wahl für den CLS.
Diesel im Tarnanzug
Als vorzüglicher Kompromiss entpuppt sich der CLS 350 BlueTec mit 258-PS-Diesel. Sein Laufgeräusch hat Mercedes so gut gedämmt, dass erst der Blick auf den Drehzahlmesser verrät, dass hier ein Selbstzünder agiert. Erneut mit dabei ist die Neunstufen-Automatik, sieben Gänge gibt es nur noch im CLS 400 und den Allradversionen. Motor hin, Getriebe her: Überraschend ist die Agilität, die der rund zwei Tonnen schwere Wagen an den Tag legt. Speziell die direkte Lenkung sorgt für erfreuliche Momente. Obwohl wir jeweils mit 19-Zoll-Felgen inklusive 255er/285er-Bereifung unterwegs waren, spielt der CLS die Komfortkarte aus. Empfehlenswert, aber nicht zwingend notwendig ist das 1.345 Euro teure Luftfahrwerk namens Airmatic, mit dem man noch geschmeidiger über ruppige Pisten gleitet.
Summe der Eigenschaften
Im Ausgleich können die 1.380 Euro für das Schiebedach gespart werden. Schon ab 60 km/h nervt ein Wummern bei offener Luke. Auch am heimischen Schreibtisch könnte ein gutes LED-Licht von Nutzen sein, denn wie bei Mercedes üblich lässt sich auch der CLS mit dem nötigen Kleingeld mächtig aufmöbeln. Für den 350 BlueTec Shooting Brake werden ab Ende September 2014 mindestens 63.367 Euro aufgerufen. Damit liegt er knapp 1.900 Euro über dem konventionellen CLS und 5.200 Euro über einem vergleichbaren T-Modell der E-Klasse. Schon ab Werk gibt es eine gar nicht mal so knickrige Ausstattung, sie beinhaltet unter anderem eine elektrische Heckklappe, eine Zwei-Zonen-Klimaautomatik und teilelektrisch verstellbare Vordersitze. Ziemlich heftig sind die 3.487 Euro Aufpreis für das komplette Navi-Infotainmentprogramm. Wer nur navigieren will, kann immerhin für rund 900 Euro ein einfaches System von Garmin bekommen. Und falls Sie ihren CLS endgültig zur Lichtorgel machen wollen: Für 357 Euro wird auch der Mercedes-Stern im Kühlergrill beim Öffnen des Autos angestrahlt.
(rh)
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