Luxemburg, 27. August 2014
Bevor ich in dieses neue und zweifelsfrei ziemlich nett anzusehende Fünf-Meter-Schiff einsteige, muss ich analysieren. Es hilft ja nichts, die Frage kommt ganz von alleine. Nehmen wir an, Sie haben 65.000 Euro zur Verfügung und suchen etwas Repräsentatives. Einen schnellen Gleiter. Mit viel Platz. Und Komfort wie im Massagesalon. Klare Sache: BMW 5er, Mercedes E-Klasse oder Audi A6. Fall erledigt. Aber Moment, da gibt es ja auch noch einen Jaguar XF, einen Volvo S80 oder – total verrückt – einen Lexus GS. Und – das ist wirklich verrückt – seit Kurzem fährt man für unter 70 Riesen sogar Maserati. Den Ghibli in dem Fall. Na gut, Image ist Ihnen nicht so wichtig. Die CO2-Emissionen eines modernen Turbo-Motors auch nicht. Für Sie ist es in Ordnung, mehr zu verbrauchen als mit einem Ferrari California. Wie wäre es also mit der neuen Hyundai Genesis Sportlimousine? “Klingt verdächtig nach gravierendem Fall von Ladenhüteritis!”, werden Sie jetzt denken. “Stimmt!”, sagen wir. Und trotzdem ist der Genesis ein prächtiges Auto geworden.
Das ist ein Hyundai?
Wie erwähnt, macht der Genesis von außen durchaus Spaß. Und irgendwann gewöhnt man sich auch an das “Aston-Martin-Logo” auf der Haube. Innen erwartet einen das Beste, was Hyundai jemals zustande gebracht hat (das sagt Hyundai) und wer ob der herrlichen Lederausstattung, den reichhaltigen, offenporigen Hölzern oder dem hohen Aluminium-Anteil leicht baff aus der Wäsche guckt, dem sei gesagt: Ging mir genauso. Wäre da nicht dieser etwas zu amerikanisch-billige Metall-Riffel-Look um den Schalthebel, dürften sich die deutschen Platzhirsche (mit denen Hyundai ausdrücklich nicht konkurrieren will) warm anziehen. In Sachen Ausstattung gilt das ohnehin, schließlich kommt der Genesis serienmäßig mit allem, was Korea derzeit zu bieten hat. Dazu zählen neben diversen Assistenzsystemen (unter anderem City-Notbremse, Cross-Traffic-Assistent, automatische Einpark-Funktion) ein farbiges Head-up-Display, eine 360-Grad-Rundumsicht mit vier Kameras und zugehörigen Sensoren sowie als Weltneuheit ein CO2-Sensor, der erkennt, wenn der Pilot müde wird. Droht der Schlaf, schießt das System Frischluft ein.
Sportlimousine? Nicht ganz
Abgesehen von diesen Spielereien kann der Genesis natürlich auch fahren und das sogar ziemlich gut. In Deutschland trägt das Schiff den Zusatz Sportlimousine, womit uns Hyundai verdeutlicht: “Wir kümmern uns jetzt auch um Fahrdynamik.” Ursprünglich für den amerikanischen und asiatischen Markt abgestimmt (und damit eher weich), wurde kein geringerer als Lotus damit betraut, die Euro-Version auf Trab zu bringen. Das Fahrwerk mit Mehrlenker-Achse vorne und hinten wurde also europäisiert, außerdem gibt es einen Allradantrieb mit einer eher heckbetonten 40:60-Auslegung und adaptive Dämpfer mit den drei Fahrmodi Eco, Normal und Sport. Wer bei Lotus nun an krachende Wirbel und Gefahr für die eigenen Zahnplomben denkt, sei beruhigt – der Genesis federt hervorragend. Absolut hervorragend, um genau zu sein. Die Lenkung arbeitet angenehm zielgenau, verhärtet sich bei höheren Geschwindigkeiten aber etwas künstlich. Einer aus sportlicher Sicht erfreulicheren Erfahrung stehen dazu erkleckliche 2.150 Kilo Leergewicht gegenüber. Will heißen: Geht es zu fix in die Kurve, schiebt der Genesis massiv über die Vorderräder. Viel Gas am Kurvenausgang bringt dagegen das Heck ins Spiel. Insgesamt steuert sich das Auto durchaus ansprechend, wenn auch zur Dynamik eines BMW 5er (mit dem man ja nichts zu tun haben will) noch ein ganzes Eck fehlt.
Der Antrieb überzeugt
Ein ganzes Eck fehlt auch beim Motorenangebot, zumindest numerisch. Es gibt hierzulande nämlich nur ein Aggregat. Dabei handelt es sich um einen 3,8-Liter-V6-Sauger mit 315 PS und 397 Newtonmeter Drehmoment. Der aus heutiger Downsizing-Sicht etwas altbackene Haudegen ist an eine Achtgang-Automatik gekoppelt. Beide machen einen erfreulich guten Job. Der Motor reagiert sehr motiviert auf Gasbefehle und wirkt immer kräftig genug. Der Automat hilft mit flotten und sanften Gangwechseln. Leider ist die Klangkulisse alles andere als souverän. Ein etwas weinerliches Sägen beim Ausdrehen will nicht so ganz zum Habitus eines hubraumstarken Kilometerfressers passen. Zu einem weiteren Verhängnis könnte der Verbrauch werden. Hyundai gibt 11,6 Liter an, im Test waren es laut Bordcomputer um die 13,5. Ob andere 300-PS-Oberklasse-Limousinen in der Realität allerdings bedeutend weniger einsaugen, steht auf einem anderen Blatt.
Warum der ganze Aufwand?
Was machen wir jetzt also mit diesem neuen, großen und wunderbar entspannenden Hyundai, der nüchtern betrachtet ein verflucht guter Wurf zu einem verflucht guten Preis ist? Man darf dieses Auto wirklich toll finden, kaufen wird es wohl trotzdem niemand. Hyundai selbst geht ganz offiziell von Verkäufen im niedrigen dreistelligen Bereich aus. Und da sind die eigenen Firmenwagen wahrscheinlich schon mit drin. Die Frage darf erlaubt sein: Warum dann der ganze Aufwand? Weil der Genesis für Hyundai ein Statement ist. Man soll ihn sehen und sagen: “Wow, das ist ein Hyundai?” Und natürlich ist er ein hervorragender Technologieträger für all die schicken Assistenzsysteme und Interieur-Schmeicheleien, die nach und nach auch in die kleineren Hyundai-Modelle einfließen werden. Wenn Sie nicht so lange warten wollen, dann schauen Sie sich den großen Koreaner durchaus mal an. Eins ist schon mal sicher: Sie werden nie wieder entspannter ein Auto bestellen. Der Genesis kostet 65.000 Euro. Eine Aufpreisliste gibt es nicht.
(sw)
- Zur Bildergalerie (25 Bilder)
- Immer informiert mit AutoNEWS: Mit einem Klick zum Newsletter
Leave a Reply