Marbella (Spanien), 5. September 2014
Acht Jahre: Selbst bei Audi ist das eine lange Zeit zwischen zwei Modellwechseln. Fast dachten wir schon, die Ingolstädter hätten den TT vergessen. Doch nun rollt die dritte Generation des kompakten Sportwagens an den Start. Was hat die Neuauflage des Designerstücks zu bieten?
Gut gegrillt
Wie gehabt ist der Audi TT äußerlich eher unspektakulär. Auch beim neuen Modell wurde die TT-typische Form mit kuppelartigem Dachaufbau beibehalten, jedoch ist die Karosserie eckiger ausgefallen. Meine Blicke fallen auf die kantigen Scheinwerfer, in denen jetzt serienmäßig Bi-Xenon-Technik arbeitet und auf den verdammt großen Grill. Tipp: Je weniger Chrom, desto besser, weshalb das S-Line-Exterieurpaket mit abgedunkeltem Grill eine Überlegung wert sein sollte. Gewiss, eine Geschmacksfrage, während es an den nackten Abmessungen nichts zu rütteln gibt. Mit 4,18 Meter ist der neue TT gut zwei Zentimeter kürzer als sein Vorgänger, dafür wuchs der Radstand auf 2,51 Meter. (Falls jemand “MQB” ruft: Stimmt nur zum Teil, denn der TT nutzt lediglich Komponenten des modularen Querbaukastens. Also kein umgeschneiderter Audi A3.) Gleich geblieben ist die Höhe von 1,35 Meter, als Folge können hinten wirklich auch nur Kinder bis zu dieser Größe sitzen. Deshalb lieber gleich den Fond als Extra-Ablage nutzen oder immer die Lehnen umgeklappt lassen. Die 305 Liter Kofferraumvolumen klingen nämlich auf dem Papier größer, als sie sind.
Weniger ist mehr
Aber unter uns: Wer sich einen TT kauft, dem ist der Nutzwert recht schnuppe. Umso gespannter bin ich auf das so genannte “Virtual Cockpit”. Also sind erst einmal Trockenübungen angesagt. Durch die extreme Reduzierung der Knöpfe wirkt der dunkle Innenraum sehr sachlich und technokratisch. Wie gehabt ist die Verarbeitung äußerst präzise. Ein echter Hingucker (oder eher Anfasser) sind die Klimaregler in den turbinenförmigen Luftauslässen. Sie dienen zugleich als Anzeige und intuitiv zu bedienende Knöpfe. Gut gefällt mir die optische Zurückhaltung der Regler, die in Griffweite liegen. Auf dem Mitteltunnel thront der MMI-Dreh-Drücksteller, umrahmt von vier Knöpfen für die wichtigsten Funktionen. Dazu gesellen sich ein Drehknopf für die Audioanlage und acht Kippschalter für eher selten genutzte Dinge wie Warnblinker und Heckscheibenheizung. Aber einen fetten Monitor (der in 70 Prozent aller Autos wie ein Störfaktor wirkt), gibt es nicht.
Ganz großes Kino
Er steckt jetzt nämlich hinter dem Lenkrad. Dort, wo sonst nur Tacho und Drehzahlmesser sitzen, befindet sich ab Werk ein 12,3-Zoll-Display mit einer Auflösung von 1.440 mal 540 Pixel. Um die hier angezeigten Inhalte kümmert sich ein Chip, der pro Sekunde acht Milliarden Rechenoperationen durchführt. So weit, so technisch. Per Taste am Lenkrad hat der TT-Fahrer die Wahl aus zwei Ansichten: Zum einen die klassische Darstellung der beiden Hauptinstrumente mit immer noch recht großer Ansicht von Navi und Co. dazwischen. Zum anderen die Möglichkeit, Karten groß aufzuziehen. Dann verkrümeln sich Tacho und Drehzahlmesser in die Ecken, das Tempo wird digital angezeigt. Audi sagt, auf diese Art und Weise kann der TT-Pilot in Städten besser die Übersicht behalten. Auch mein erster Gedanke war: Was für eine Spielerei. Mein zweiter: Wie konnte ich bislang ohne auskommen? Einziger Haken an der neuen, schönen Digital-Guckerei: So richtig geil wird das Ganze erst mit der 2.490 Euro teuren MMI-Navigation.
Ab durch die Mitte
Und was fahren wir nun? Im Angebot hat Audi den TT als Zweiliter-Diesel mit 184 PS samt manueller Schaltung sowie den Zweiliter-Turbobenziner mit 230 PS oder 310 PS (dann steht TTS am Heck). Dieser gute Bekannte aus dem VW-Konzern, Stichwort Golf GTI und R, lässt sich optional auch mit einem Doppelkupplungsgetriebe ausrüsten, beim kleineren Benziner gesellt sich dann noch ein Allradantrieb dazu. Bislang entschieden sich rund 30 Prozent der deutschen Kunden dafür, also schnappen wir uns einen Schalter mit Frontantrieb und 230 PS. Auch den TDI lasse ich vorerst links liegen, obwohl ich erstaunt zur Kenntnis nehme, dass hierzulande schon 20 Prozent aller TT “verdieselt” werden.
Genau hingehört
Also drücke ich den Startknopf meines “Durchschnitts”-TT und lausche. Aber außer einer leicht bassigen Note ist da nichts. Und das ändert sich auch während der Fahrt nicht. Ziemlich diskret geht der Turbo-Benziner ans Werk, das aber sehr ordentlich: In genau sechs Sekunden fällt die 100 km/h-Marke, bei 250 Sachen wird abgeregelt. Ein wenig mehr Sound gibt es, wenn das 200 Euro teure “Drive Select”-System an Bord ist. Hier gibt es einen Dynamic-Modus, der unter anderem die Gasannahme schärft. Sobald ich hier den rechten Fuß in den Boden presse, klingt der Motor einen Schuss schmutziger. Trotzdem beginne ich recht bald, vom großartigen Fünfzylinder im alten TT RS zu träumen. Denn gerade bei einem fast perfekt agierenden Auto wie dem neuen TT würde Klang für Charakter sorgen.
Das Messer in der Butter
Aber so verstärkt sich bei mir der schon im Innenraum gefühlte Eindruck eines technokratischen Ingenieur-Autos. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der TT fährt sich wirklich vorzüglich. Im Standard-Modus lassen sich Kurven mit der präzisen elektromechanischen Lenkung exakt durchschneiden. Beim Anpeilen hilft die ausgeprägte scharfe Kante des oberen Kotflügels, die im Blickfeld des Fahrers liegt. Hinzu kommt der sehr elastische 230-PS-Benziner ohne irgendein Turboloch: Selbst im sechsten Gang zieht der TT mühelos von 60 auf 90 km/h. Auch deswegen fällt der Verzicht auf die S Tronic leicht, zumal der Schaltknüppel auf kurzen Wegen durch die Gassen gleitet. Lediglich in den ersten beiden Gängen könnte die Führung noch etwas exakter sein. Stichwort Verzicht: Auch ohne Allrad sorgt der TT für gute Laune. Erst bei allzu flott gefahrenen Biegungen zeigt sich durch Schieben an den äußeren Kurvenrand, wo trotz elektronischer Quersperre die Grenzen des Frontantriebs liegen. Dank des niedrigen Schwerpunkts sind sie aber hoch angesiedelt, wie der vor uns fahrende Audi Q3 feststellen muss. Und aufgrund der geringen Seitenneigung des TT bleibt auch der Magen des Beifahrers verschont.
Robustes Abrollen
Allerdings haben es die Q3-Insassen etwas komfortabler: In unserem, mit (trotzdem im Radhaus recht mager wirkenden) 18-Zöllern bestückten Testwagen kommt das Fahrwerk schnell an seine Grenzen. Auf abgenutzten Straßen teilt die Federung ziemlich früh mit, wann hier das letzte Mal richtig asphaltiert wurde.
Schmutziger Dicker
Nur gut, dass auf der Rennstrecke in Ascari nahe dem spanischen Ronda feiner glatter Belag verbaut wurde. Dort kann ich dem 310 PS starken TTS mit S Tronic und ausgeschaltetem ESP die Sporen geben. Mit sportlichen geschärften Systemeinstellungen klingt er endlich so schmutzig wie erhofft. Kernig jagt die Nadel des Drehzahlmessers hoch, der nur im TTS groß und zentral angezeigt werden kann. Beim Herunterschalten melden sich Zwischengas-Töne aus den vier Endrohren. Sehr sauber und sehr zügig zieht der Allradantrieb den TTS durch die Kurven, bei scharfem Wechsel aus Gas und Bremse lässt sich der Wagen in engen Kurven sogar zum leichten Drift überreden.
Immer schön bescheiden
Überreden sollten TTS-Fans aber besser ihren Bankberater, denn mit mindestens 49.100 Euro liegt der vorläufige Ober-TT fast 15.000 Euro über dem Einstiegsmodell mit 230 PS und Frontantrieb. Ab Oktober 2014 steht das für exakt 35.000 Euro beim Händler und sollte eine Überlegung wert sein, zumal sich das gesparte Geld wie bei Audi üblich locker in Sonderausstattungen versenken lässt. Kleine Auswahl gefällig? Navigationssystem: 2.490 Euro. Tempomat: 290 Euro. Einparkhilfe hinten (sehr wichtig!): 400 Euro. Klimaautomatik: 550 Euro. Sitzheizung vorne: 350 Euro. 18-Zöller: 980 Euro. Metallic-Lackierung: 670 Euro. Macht 40.730 Euro. Und ich habe noch gar nicht mit Assistenzsystemen, LED-Scheinwerfern oder Lederpolstern angefangen. Dann interpretiert der schnittige Audi nämlich sein Kürzel neu: TT = Teures Transportmittel.
(rh)
- Zur Bildergalerie (37 Bilder)
- Immer informiert mit AutoNEWS: Mit einem Klick zum Newsletter
Leave a Reply