Köln, 22. Oktober 2014
In der Möbelbranche haben es uns die Schweden schon schön einfach gemacht: Wenn man ein Regal möchte, das einfach nur ein Regal ist, kauft man seit 1974 bei Ikea ein Baukasten-Möbelstück namens Billy. Es ist einfach gestrickt, sehr günstig sowie je nach Geschick zeitsparend aufzubauen. Wieso also nicht auch Automotoren nach dem Ikea-Prinzip gestalten? So hat Volvo in einen neuen Baukasten-Motor investiert. Ob sich die Investitionen gelohnt haben? Wir haben es getestet.
Neuer Einheitsblock
Künftig soll Zylinderzählen bei dem skandinavischen Autobauer der Vergangenheit angehören, so Entwicklungschef Dr. Peter Mertens. Fünf- oder gar Sechszylinder-Aggregate werden dann nicht mehr im Motorenangebot zu finden sein. Die neue Drive-E-Motorenreihe steht für Downsizing und soll dabei laut Volvo gesteigerte Leistung mit Effizienz vereinen. Alle Aggregate haben vier Zylinder und zwei Liter Hubraum. Sie basieren – egal ob Diesel oder Benziner – auf einem gemeinsamen Aluminiummotorblock. Dadurch weisen sie ausnahmslos gleiche Werte bei Zylinderabstand, Bohrung und Hub auf. Dies hat zur Folge, dass auch Kurbelwelle oder Ölwanne Gleichteile sind.
Zwei mal Turbo, vier mal Sensor
Bereits erhältlich ist der Volvo V40 als T5-Variante mit einem Zweiliter-Vierzylinder-Benziner. Das Topmodell markiert mit 245 PS die Leistungsspitze im V40. Jetzt hat der kompakte Schwede den Allzweck-Block als Dieselausführung verpflanzt bekommen. Der Selbstzünder kommt mit doppelter Turboaufladung auf eine Leistung von 190 PS und 400 Newtonmeter maximales Drehmoment. Für die Power im unteren Drehzahlbereich sorgt ein kleiner Turbo. Erhöht sich die Drehzahl, schaltet sich ein größerer Zwangsbeatmer dazu und versorgt den Motor zusätzlich mit Diesel-Druckluft. Eingespritzt wird das Gemisch über das neue System i-ART. Anstelle eines einzigen Drucksensors in der Kraftstoffleitung verfügt nun jede Einspritzdüse über einen eigenen Sensor.
Harmonie zwischen Motor und Getriebe
Kraftvoll geht es voran. In nur 7,2 Sekunden überschreitet der V40 D4 die 100 km/h-Marke und erst bei 230 km/h ist Schluss mit dem Spaß. Zu Glücksgefühlen trägt aber auch das neue Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe bei, welches schnell und präzise die passenden Fahrstufen wählt. So ist man bei normaler Fahrweise stets in einer niedrigen Drehzahl unterwegs. Fordert man sportlichen Dieselsound, lässt das Getriebe den Motor aber munter auf 5.000 Runden pro Minute hochdrehen.
Vom Sparer zum Trinker
Volvo gibt für sein neues Kraftpaket einen Verbrauch von 4,2 Liter auf 100 Kilometer an. Wir erreichten bei gemäßigter Fahrweise 5,8 Liter. Tritt man beherzt aufs Gas und lässt die Muskeln im V40 spielen, darf man sich aber nicht wundern, dass aus dem Kompaktwagen ein trinkfreudiger Skandinavier wird. Nach 100 flotten Autobahnkilometern mit Hochgeschwindigkeitseinlagen stäubten die Einspritzdüsen mehr als 7,4 Liter Dieselkraftstoff in die Brennräume.
Schwerer Schweden-Stahl
Mit 1,6 Tonnen liegt der schwedische Golf-Gegner rund 200 Kilogramm über dem Gewicht des Wolfsburger-Pendants. Und noch ein Vergleich: Ein 5er BMW mit einem Zweiliter-Dieselmotor ist nur rund 80 Kilogramm schwerer als der V40 D4. Man merkt schnell, dass der Schwede etwas beleibter ist, aber fühlt sich dadurch – und durch die überaus guten, ja fast perfekten Kompaktwagen-Sitze – gleich ein Eckchen sicherer und wohler. Mit den Kilos kommt der V40 selbst in flotten Kurvenfahrten gut zurecht. Auch wenn beim Anbremsen die vordere Aufhängung tief eintaucht, Angst vor häufigem Untersteuern bleibt durch das passend und gut abgestimmte Fahrwerk unbegründet.
Unschöne Assistenzprobleme
Bei der mitgelieferten Assistenz hapert es aber: Man darf sich nicht wundern, wenn die Verkehrsschilderkennung auf der Landstraße 30 km/h oder innerorts plötzlich 70 oder gar 100 km/h anzeigt. Ortseingangs- und Ortsausgangsbeschilderungen sind neben der Verkündung des Namens nun mal auch ein Zeichen für den Beginn einer neuen zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Das System ist aber nicht darauf geschult, international unterschiedliche Ortsschilder zu erkennen und diese als Geschwindigkeitsbegrenzer zu deuten. Das ist gefährlich, genau wie der Abstandswarner, der zum Teil ohne erkennbaren Grund einen roten Balken in die Windschutzscheibe projiziert und lauthals auf sich aufmerksam macht. Hier herrscht sicherlich Verbesserungsbedarf.
Schwedische Zukunftsmusik
Die Vierzylinder-Drive-E-Motoren sollen im Laufe von 2015 durch weitere Neuzugänge in der Familie ergänzt werden. Eine neue Generation von Dreizylinder-Motoren ersetzt dann die aktuellen Einstiegsaggregate mit vier Zylindern und 1,6 Liter Hubraum. Dafür lassen die Entwickler einfach den vierten Zylinder des neuen Motorblocks weg. Übrig bleiben drei Mal 0,5 Liter Hubraum. Insgesamt also 1,5 Liter und schätzungsweise 140 PS. Hoch lebe das Baukasten-System. Oder getreu dem Ikea-Motto in abgewandelter Form: Entwickelst du noch, oder fährst du schon?
Der Preis ist heiß
Der Vierzylinder-Drive-E-Motor fährt bereits. 3.859 Volvo-Fahrzeuge (zum Beispiel XC60, V60) wurden in den letzten zwölf Monaten mit dem neuen Block bestückt. Wer den Einheitsmotor in seiner Dieselausführung samt Sechsgang-Schaltgetriebe im V40 haben möchte, muss künftig mindestens 29.880 Euro berappen. Mit dem neuen Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe ausgestattet, beginnen die Preise bei 31.780 Euro. Damit rangiert der 190-PS-V40 preislich, leistungs- und verbrauchstechnisch auf Golf-GTD-Niveau.
(ml)
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