Nürburgring, 9. Oktober 2013
Sie ist ein Mythos. Sie ist unberechenbar. Und sie gilt als die anspruchsvollste Rennstrecke der Welt. Die Rede ist von der Nordschleife des Nürburgrings. 20,832 Kilometer ist sie lang, es gibt 73 Kurven und fast 300 Meter Höhenunterschied zu bewältigen. Jedes Jahr findet hier das legendäre 24-Stunden-Rennen statt. Doch jeder, der etwas Kleingeld mitbringt, kann die “grüne Hölle” – so wurde sie von Formel-1-Ikone Jackie Stewart getauft – am Steuer kennenlernen. Ich habe es zwei Tage lang gemacht.
Zwischen den Boliden eine Horde Opels
Schon auf dem Parkplatz zur Einfahrt der Nordschleife fällt die Opel-Armada ziemlich auf: fünf Corsa OPC (natürlich in der Nürburgring Edition) und sechs Astra OPC. Zwischen all den Porsches, Ferraris, Lamborghinis und ähnlichen Geschossen könnte man auf die Idee kommen, die Opels hätten sich in der Veranstaltung geirrt. Haben sie aber keineswegs. Die Marke mit dem Blitz will mit sportlichen Autos und dem neuerlichen Engagement im Motorsport an alte Erfolge anknüpfen und zugleich das angestaubte Image aufpolieren. Wo ginge das besser als auf der Nordschleife?
Die Alternative heißt Touristenfahrt
Es gibt mehrere Wege, als Privatperson auf dem Nürburgring ein paar Runden zu drehen. Der bekannteste sind die so genannten Touristenfahrten. Die heißen nicht zufällig so. Die Strecke ist dann übervoll. Für 26 Euro pro Runde treffen hier vom Polo GTI über den getunten 3er-BMW bis zum Nissan GT-R verschiedenste Fahrzeuge und vor allem unterschiedlichstes fahrerisches Können aufeinander. Wer die Nordschleife hingegen ausgiebig und intensiv erfahren will, für den werden Sportfahrerlehrgänge angeboten. So wie etwa bei Scuderia S7. Dahinter stecken sieben motorsportbegeisterte und -erfahrene Männer. Sie buchen den Rundkurs in der Eifel zweimal im Jahr für jeweils zwei Tage. Kostenpunkt allein dafür: 100.000 Euro. Bezahlt werden müssen auch Streckenposten, Sanitäter, Abschleppdienste, Catering und vieles mehr. So gesehen relativieren sich die Kosten für den Lehrgang in Höhe von 2.390 Euro pro Person – ohne Übernachtung.
Viele Teilnehmer sind Stammgäste
Selbst mitbringen müssen die in der Regel recht solventen Teilnehmer ihr Auto. Was für ein Gefährt das ist, bleibt ihnen überlassen, sofern es straßenzugelassen, haftpflichtversichert und nicht lauter als 95 Dezibel ist. Etwa zwei Drittel der Kursteilnehmer sind Stammgäste, erklärt Scuderia-S7-Chef-Organisator Mike Schütte. Viele melden sich gleich wieder für den nächsten Lehrgang an. “Bei 100 Autos ist Schluss”, so Schütte weiter. “Eine Handvoll drüber geht zur Not auch, aber sonst werden die einzelnen Gruppen zu groß und davon hat dann keiner was.” Etwa acht Fahrzeuge werden von einem Instruktor betreut. Einer von ihnen ist Josef “Jossi” Seidel. Im richtigen Leben entwirft der Schwabe als erfolgreicher Architekt Häuser. Doch seine Freizeit gehört seit Kindertagen dem Motorsport: “Der Nürburgring ist meine zweite Heimat”, sagt er. Jetzt bringt Jossi uns, der Opel-Gang, die legendenumwobene Strecke geduldig näher.
Immer und immer wieder
Um die über 20 Kilometer Stück für Stück kennenzulernen, wird die Nordschleife am ersten Tag in sechs Abschnitte unterteilt. Dann wird jeder Teilabschnitt in Kleingruppen intensiv erkundet. Immer und immer wieder werden die einzelnen Passagen abgefahren. Die Reihenfolge hinter dem Führungsfahrzeug wechselt permanent, damit jeder Teilnehmer mindestens einmal der von Jossi vorgegebenen Ideallinie folgen kann. Über Funk erklärt er die Tücken und gibt Tipps, wie man welche Kurve am besten nimmt. Ich bin mit einem Astra OPC dabei. 280 PS hat der unter Haube. Ein Sperrdifferenzial hilft, sie sauber über die Vorderräder auf den Asphalt zu bringen. Das straffe Sportfahrwerk und die direkte Lenkung scheinen wie gemacht für die Rennstrecke. Kein Wunder: “Die Feinabstimmung des Astra OPC haben wir natürlich auf der Nordschleife vorgenommen”, erzählt Volker Strycek, einstiger DTM-Champion und heute Leiter Opel Performance Center (OPC).
Es kracht auch mal
Hohes Tempo, wenig Abstand, spätes Bremsen: Nach kurzer Eingewöhnungszeit geht es beim Lehrgang richtig zur Sache. Wer noch nie auf einer Rennstrecke gefahren ist, kommt hier schnell an seine Grenzen. Und weil mancher sein fahrerisches Können überschätzt, landet das eine oder andere Auto schließlich in der Leitplanke. Denn Auslaufzonen gibt es auf diesem in den 1920ern gebauten Kurs so gut wie nicht. Ein Meter Grünstreifen, dann wartet bereits die bedrohliche Doppelleitplanke. Die Konzentration ist hoch, der Adrenalinpegel ebenfalls. Fast acht Stunden lang, unterbrochen lediglich von kleinen Coffeestops und einer längeren Mittagspause. Die Organisatoren wollen jede Minute ausnutzen. Dafür erfahre ich am ersten Tag die Nordschleife in einer Intensität, wie sie besser kaum sein könnte. Döttinger Höhe, Flugplatz, Schwedenkreuz, Kesselchen, Hohe Acht, Schwalbenschwanz – und nicht zu vergessen das berühmte Karussell, eine der letzten Steilkurven, die es im modernen Motorsport noch gibt: Jeder Streckenabschnitt hat seinen eigenen Namen. Fans kennen sie ohnehin, die Lehrgangsteilnehmer nun zwangsläufig auch.
Verbesserungswürdige Rundenzeit
Am zweiten Tag entscheidet jeder selbst, wie viel er fahren möchte. Dafür gibt es jetzt erstmals die komplette Nordschleife am Stück. Etwas weniger als zehn Minuten brauche ich pro Runde. Zum Vergleich: Für straßenzugelassene Fahrzeuge wurde der Rekord erst kürzlich von einem Porsche 918 Spyder auf 6:57 Minuten verbessert. Bei mir besteht also noch einiges an Optimierungspotenzial. Vielleicht komme ich ja im nächsten Jahr wieder in die Eifel. Denn eines ist in den zwei Tagen Sportfahrerlehrgang auf alle Fälle passiert: Der Mythos “grüne Hölle”, er hat mich voll erwischt.
(mn)
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