Portimao (Portugal), 26. Februar 2015
Kann er es noch immer? Also das mit der Wildsau, den unanständigen Geräuschen und den dicken schwarzen Streifen auf dem Teer? Gehen Sie mal stark davon aus, denn das hier ist der neue Mercedes-AMG C 63. Und für alle Papis, die ihren Sprösslingen gerne mal den blanken Beschleunigungs- und Drift-Schreck in die Glieder jagen: Es gibt ihn von Anfang an auch als Kombi. Wahrlich, er tritt ein schweres Erbe an. Für viele markierten das Jahr 2007 und das Erscheinen des ersten C 63 den größten Wendepunkt für die Racer aus Affalterbach. Nein, nicht weil man einen lächerlich großen Motor in ein überschaubar großes Auto stopfte (das tat man vorher auch schon), sondern weil der 63er erstmals das Gefühl vermittelte, ein auf Krawall gebürsteter Benz könnte besser sein als der BMW M3. Und zwar auch, wenn die Strecke keine Gerade war. Der Erfolg gab den Schwaben recht. Der alte C 63 ging knapp 40.000-mal über den Ladentisch und ist damit der bisher meistverkaufte AMG.
Drehmoment. Viel Drehmoment
Nun also C 63, die Zweite. Die markanteste Änderung dürfte die unter dem um 56 Millimeter verlängerten Vorderwagen sein. Denn der grandiose 6,2-Liter-Sauger-Haudegen musste seine Sachen packen und Platz machen für den neuen 4,0-Liter-Biturbo-V8, der im AMG GT seinen Einstand gab. Auf seinem Weg vom Hardcore-Sportwagen zur Hardcore-Mittelklasse verlor er die Trockensumpfschmierung (war aufgrund der größeren Bauhöhe schlicht nicht mehr nötig) und anstatt des Transaxle-Doppelkupplungsgetriebes kommt im C die altbekannte, wenn auch ordentlich zurecht frisierte Siebengang-Speedshift-Automatik zum Einsatz. Vorteil alte Automatik: Sie packt mehr Drehmoment. Noch mehr Drehmoment. Der neue C 63 leistet daher 476 PS und 650 Newtonmeter, der C 63 S sogar 510 PS und 700 Newtonmeter (im AMG GT sind es maximal 650). Liebe Hinterreifen, ich höre euch jetzt schon wimmern.
Alles neu. Alles Sport
Wie es sich für ein Sportmodell von Welt gehört, blieb am C 63 natürlich auch sonst kaum ein Stein auf dem anderen. Er verfügt über eigene und breitere Achsen, vertrauenerweckendere Bremsanker, neue dreifach verstellbare Dämpfer, eine eigene Lenkung, das mittlerweile übliche Arsenal an Fahrmodi und, und, und. Gott sei Dank (vor allem für die angesprochenen Hinterreifen) verbaut AMG nun auch serienmäßig ein Hinterachs-Sperrdifferenzial. Im normalen C 63 arbeitet es mechanisch, im S-Modell kommt ein voll variables elektronisches System (ähnlich dem in BMWs M-Modellen) zum Einsatz. Außerdem verfügt der S über dynamische Motorlager, die dem dicken V8-Block je nach Rasanz mehr oder weniger Eigenbewegung gönnen. Vor allem bei Harakiri-Tempo (zum Beispiel auf der Rennstrecke) soll das mehr Ruhe in die Fuhre bringen. Innen gibt es hervorragendes Sportgestühl (gegen Aufpreis sogar ein noch hervorragenderes Sportschalen-Gestühl), ein erfreulich rundes Lenkrad und gegen Aufpreis auch eine äußerst formvollendete IWC-Analog-Uhr.
V8-Krawall zum Verlieben
Wie vermutet macht der erlesene Komponenten-Mix aus dem C 63 einen ziemlich wilden Hund. Sollten Sie in Sorge gewesen sein, der Neue sei aufgrund des Biturbo-Motors am BMW-M3/M4-Syndrom erkrankt und habe stark an akustischer Manneskraft eingebüßt, so kann ich Sie (wie schon beim AMG GT) sofort beruhigen. Egal ob mit oder ohne “S” am Heck: Dieses Auto klingt, als hätte es ein NASCAR gefrühstückt! Wie im Vorgänger geht schon beim Start ein herzhafter V8-Wackler durch Fleisch, Blut und Blech. Der Neue bollert aber nicht nur, er spratzt und schießt jetzt auch. Das ist schön. Und ziemlich erregend. Wenn aus “erregend” “obszön” werden soll: Für 1.190 Euro bekommen Sie die sogenannte “Performance-Abgasanlage”. Das, was an der Abgasanlage dranhängt (Motor) ist auch schnell erklärt: Es ist ein Biest, das biestiger kaum sein könnte. Von Ansprechverhalten, Drehfreude oder Ähnlichem brauchen wir hier nicht zu reden. Das Ding gibt einen beängstigenden Tritt in den Hintern. Immer. Überall. Und das Getriebe? Nur Doppelkupplungs-Terroristen werden behaupten, dass ein BMW-DKG oder eine Ferrari-Box im Extremfall ein Fitzelchen schneller ist. Alle anderen sollten sich vor dem alten Herren mit der neuen Hard- und Software verneigen, denn er ist großartig.
Mehr Muscle Car als der M3
Natürlich wird im neuen C 63 (gefahren wurde das stärkere S-Modell) auch die Fahrdynamik von dem Berserker unter der Haube dominiert. Er ist mehr Muscle Car als der M3. Ein unfassbar und krank schnelles Landstraßentier, das den BMW – mit seinen 79 PS und 150 Newtonmeter weniger – in Sachen Überland-Speed wohl nicht allzu gut aussehen lässt. Wo der BMW allerdings mit dem Skalpell seziert, haut der Benz die Streitaxt in den Teer. Die Vorderachse ist nicht ganz so hyperaktiv und leichtfüßig wie bei M3/M4 und um ehrlich zu sein: die Lenkung war im alten C 63 besser. Hier wirkt sie relativ schwer und künstlich verhärtet. Ansonsten gilt: Der Über-C hat seine Karosseriebewegungen bestens im Griff, ist straff, aber nicht zu hart und trotz der – angesichts des Drehmoments – geradezu kümmerlichen 265er-Hinterreifen, prahlt er förmlich mit Traktion. Also … ähem … zumindest solange man seinen rechten Fuß halbwegs im Griff hat. Wie bei AMG üblich, lässt sich nämlich mit etwa drei Millimeter mehr Gaspedal aus “Traktion” und “Leichtes Untersteuern” ganz schnell “Insektenabdrücke auf der Seitenscheibe” machen. Bis zu einem gewissen Grad sogar im ESP-Sportmodus, der die Musik bei der Drift-Party erst erfreulich spät leiser dreht.
Maulwürfe in den Reifen
Auch auf der Hochgeschwindigkeits-Achterbahn in Portimao macht der kompakte Kraftkerl einen äußerst vernünftigen Eindruck. Er ist wohl allein aufgrund seines Leergewichts von 1.650 Kilo nicht unbedingt die allererste Wahl in Sachen Track-Tool, aber er spendet sofort extrem viel Vertrauen, wirkt wahnsinnig stabil, hat absolut brachiale (4.998 Euro teure) Keramik-Stopper und eine wundervolle elektronische Sperre, die einem das Hinterteil aus der Kurve buddelt, als hätte Michelin eine Horde Maulwürfe in seine Super Sports eingebacken.
Zahme Optik, hoher Preis
Sie sehen schon, Mercedes-AMG hat auch mit dem neuen C 63 ein absolutes Talent-Tier auf die Räder gestellt. Allerdings sieht das Tier weit weniger tierisch aus, als man das vielleicht vermutet hätte. Okay, vorne ging es um 28 Millimeter in die Breite, aber das war es dann auch schon. Irgendwie wirkt das Auto fast ein bisschen zu brav (beim insgesamt schöneren Kombi ist es deutlich besser). Zumindest deutlich braver als der in meinen Augen herzerwärmend krawallige Vorgänger und meilenweit entfernt von der Kinnlade-am-Knie-Optik des aktuellen BMW M3/M4. Mit ihm zusammen dürfte er auch in den nächsten Jahren das Segment beherrschen, denn was die Güte betrifft, kommt nach diesen beiden lange nichts. Der Mercedes-AMG C 63 startet bei 76.100 Euro und ist damit 4.300 Euro teurer als ein M3. Das T-Modell kostet mindestens 77.766 Euro. Das stärkere und besser ausgestattete S-Modell (unter anderem 19-Zoll-Felgen und größere Bremsen) verlangt nach einem knackigen 8.271-Euro-Aufschlag, dürfte aber erste Wahl sein, wenn auch mal abgesperrtes Geläuf in der Wochenendplanung auftaucht.
(sw)
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