Infiniti Q50 im Test: Japanischer Anti-Mercedes mit Schwaben-Herz

October 12, 2013

Mit dem neuen Q50 will Infiniti in Europa angreifen

Die Heckansicht erinnert etwas an den aktuellen Mazda 6

Typisch für Infiniti ist der große Kühlergrill

Barcelona (Spanien), 11. Oktober 2013
Endlich eine eigene Firmenzentrale. Und endlich spezielle Modelle für den europäischen Markt: Bei Nissans Nobeltochter Infiniti ist Eigenständigkeit die Devise der Stunde. Das ist auch nötig, denn die Verkaufszahlen sind hierzulande eher überschaubar. Keine echte Überraschung, denn den wertvollen Premium-Kuchen verschlingen in Deutschland Audi, BMW und Mercedes. Dort hinein soll nun der Infiniti Q50 seine Gabel pieken, der erste speziell für Europa entwickelte Wagen der Marke und Speerspitze einer umfangreichen Modelloffensive. Hat er das Zeug zum Bürgerschreck?

Suche nach der Tradition
Auf den ersten Blick kann sich der Infiniti Q50 sehen lassen: Geschickt gesetzte Blechfalze und der markentypische Knick im hinteren Seitenfenster sorgen für Spannung. Die Designer ließen sich offenkundig vom neuen Mazda 6, aber auch vom 3er-BMW inspirieren. Wie dem auch sei: Der Q50 sieht gelungener aus als alles, was die Marke bisher im Angebot hat. Erhältlich ist der Q50 nur als Stufenheck-Limousine, andere Varianten sind nicht geplant. Mit einer Länge von 4,79 Meter steht der Wagen ziemlich genau zwischen dem 3er und dem 5er von BMW. Mittlere Mittelklasse quasi. Nebenbei erwähnt: Audi kann nicht gegen den Modellnamen Q50 klagen, Infiniti hatte nämlich schon 1989 ein Q-Auto, den Q45. Mit diesem Bindeglied soll gewissermaßen ein spärlicher Traditions-Tanga gewoben werden.

Bayrische Impressionen
Das Platzangebot im Inneren des Q50 geht in Richtung des 3er-BMW: Auf den hinteren Plätzen ist die Beinfreiheit nicht gerade üppig. Dafür überzeugt die Kopffreiheit im gesamten Fahrzeug, sofern nicht das optionale Schiebedach gewählt wird. Relativ große Seitenscheiben lassen viel Licht ins Innere. Dort weckt die vordere Möblierung Erinnerungen an den 3er: Wir sitzen tief in den Sesseln und werden von einer breiten Mittelkonsole flankiert. Hier befinden sich serienmäßig zwei Acht-Zoll-Touchscreens. Der obere dient primär als Anzeigeschirm, auf dem unteren Bildschirm werden je nach Bedarf und gewählter Ausstattung diverse Medien oder das Navi dirigiert. Klappt prima, weil die Monitore schon bei sanften Berührungen reagieren.

Hier geht’s App
Richtig gut ist auch die Kopplung mit Smartphones: Deren Apps können einfach angezeigt und genutzt werden, also etwa Google oder Facebook. Spezielle Apps vom Hersteller wie zum Beispiel bei Opel sind nicht nötig. Nicht unterstützt werden Spiele oder Video-Anwendungen à la Youtube, schließlich soll der Fahrer auf die Straße sehen. Clever sind die drei zentralen Knöpfe für den Direktzugriff auf das Menü, Radio und Musik sowie die Klimatisierung. Weil Letztere oft betätigt wird, sind links und rechts vom Monitor klassische Temperatur-Tasten montiert. Dritter im Bund der Schirme ist das Fünf-Zoll-Farbdisplay zwischen Drehzahlmesser und Tacho. Noch ein Wort zu den Kunststoffen im Cockpit: Sie wirken teilweise arg billig und stehen im Kontrast zum großzügig verteilten Leder. Aber vergessen wir nicht: Auch bei BMW sind Hartplastikorgien inzwischen durchaus an der Tagesordnung.

Ein Diesel vom Stern
Unter der Haube des Q50 ist das Angebot recht übersichtlich. Kunden haben die Wahl zwischen einem V6-Hybrid mit 364 PS Systemleistung und einem 170 PS starkem 2,2-Liter-Diesel. Hinterradantrieb ist Standard, optional gibt es Allrad. Der Hybrid setzt immer auf eine Siebengang-Automatik, beim Selbstzünder kommt ab Werk eine Sechsgang-Schaltung zum Zug. Wir sind beide Varianten mit Automatik gefahren. Die Mercedes-Getriebe stammen aus der Kooperation von Daimler mit Renault/Nissan. Und nicht nur sie: Bei 2.143 Kubikzentimeter Hubraum des Diesel dürften die harten Mercedes-Fans kurz stutzen. Jawohl: Genauso viel hat der C 220 CDI. Allerdings baut Infiniti nicht exakt die gleiche Maschine in den Q50. Beide Aggregate teilen sich nur den Block, den Turbolader sowie das Abgas- und Einspritzsystem. Anders sind zum Beispiel der Ladeluftkühler und die Motorsteuerung. Soweit die Theorie, in der Praxis überzeugt der japanisierte Diesel durch guten Antritt, dürfte aber im Leerlauf gerne etwas leiser sein. Hinzu kommt, dass die Automatik bei starkem Gasfuß eine Spur zu nervös agiert.

Sparsamer Sportler
Deutlich harmonischer geht der Q50 Hybrid zu Werke. Das fällt ihm natürlich schon deswegen leicht, weil der dicke Sechszylinder immer seinen Elektrokumpel mit dabei hat und so stramme 546 Newtonmeter auf die Kurbelwelle wuchtet. Laut Infiniti soll er im Sprint auf 100 km/h sogar einen BMW ActiveHybrid 3 abledern können. (Okay, zwei Zehntelsekunden nur, aber das zählt fürs Marketing.) Wird das Gaspedal ans Bodenblech geheftet, jagt der Q50 wie von der Tarantel gestochen in 5,1 Sekunden auf Tempo 100. Soweit der böse Hybrid, wir genießen seine liebe Seite. Bei ziviler Beschleunigung werden die Gänge der Wandlerautomatik fix durchsortiert, säuselnd gleitet der Wagen mit Tempo 120 dahin. Einziger kleiner Störeffekt sind dann lediglich die Windgeräusche an der A-Säule. Der Verbrauch: Offiziell sind 6,5 Liter angegeben, wir kamen mit viel Autobahnanteil auf 7,2 Liter. Nur noch einmal zur Erinnerung: 364 PS Systemleistung!

Lenkung (fast) ohne Stange
Kein Wunder, dass Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel nicht nur aus Jux das Infiniti-Logo auf seinem Renner spazieren fährt. Er war (soweit möglich) bei der Entwicklung des Q50 dabei. Vor allem bei einer Technik, die er von seinem Arbeitsgerät kennt: Im Q50 kommt die erste Steer-by-Wire-Lenkung in einem Serienauto zum Einsatz. Was bedeutet das? Die Bewegungen am Lenkrad werden nicht per mechanischem Gestänge weitergegeben, sondern elektrisch. (Im Notfall ist trotzdem noch ein mechanisches Lenkgestänge dabei. Drei separate Steuergeräte sollen einem Ausfall vorbeugen.) Für das Gewicht bringt das nichts, eher für das Ansprechverhalten. Und das ist verdammt direkt: In sehr kleinen Radien umkurvt der Infiniti die für uns aufgestellten Pylonen. Der Aufwand am Volant verringert sich, aber das neuartige, subjektiv etwas eckige Lenken beansprucht etwas Eingewöhnungszeit. Als Vorteil kann der Fahrer unter anderem per Menü die Leichtgängigkeit nach seinem Gusto anpassen. Serienmäßig ist das System beim Q50 Hybrid und der Sport-Ausstattung des Diesel dabei, ansonsten werden 1.000 Euro inklusive einer Fahrspurüberwachung mit Lenkeingriff verlangt. Straff, aber nicht unkomfortabel ist das Fahrwerk ausgelegt.

Kein Preisbrecher
Ein wichtiges Thema: Was kostet der Q50, wenn er Mitte November 2013 auf den Markt kommt? Mindestens 34.350 Euro möchte Infiniti für den handgeschalteten Diesel haben, die Automatik kostet 2.190 Euro extra. Der 14 PS stärkere BMW 320d startet bei 35.900 Euro, während der technisch ähnliche Mercedes C 220 CDI mit gleicher Leistung für 37.545 Euro angeboten wird. Serienmäßig bringt der Q50 die beiden Touchscreens, eine Zwei-Zonen-Klimaautomatik, eine Rückfahrkamera und einen Tempomat mit. Viele Extras gibt es erst in der nächsthöheren Premium-Variante (ab 36.950 Euro), darunter ein mit Assistenzsystemen gespicktes Paket. Apropos: Einzeln sind kaum Optionen bestellbar. Typisch Japaner eben. Eher platonisch ist der Spargedanke beim Q50 Hybrid. Mit 51.536 Euro ist er ein Fall für Liebhaber, auch wenn der vergleichbare 3er-BMW nochmals um knapp 1.500 Euro teurer ist.
(rh)

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