Ronda (Spanien), 25. März 2015
Man sollte ja meinen, im mittlerweile 21 Varianten umfassenden Porsche-911-Portfolio wäre nicht mal mehr Platz für ein neues Elfer-Bobbycar. In den Augen der Zuffenhausener Strategen liegt man mit dieser kurzsichtigen Einschätzung aber offenbar gründlich daneben. Sie wollen Beweise? Dann schicken Sie Ihr Notebook/ Tablet/ Smartphone mal kurz auf den Porsche-Konfigurator. Wenn Sie über den neuen 911 Targa 4 GTS gestolpert sind, sollte Ihnen ein Licht aufgehen.
Wer kauft den eigentlich?
Jetzt also auch der Targa in der etwas heißeren und hübscher anzusehenden GTS-Variante. Um zu verstehen, warum Porsche das für eine gute Idee hält, sollten wir uns vielleicht in den zaudernden Kunden hineinversetzen (der ja nun ganz nebenbei noch mehr zaudern muss als bisher): Sie sind also auf der Suche nach einem Elfer mit Allrad (alle Targa haben Allrad) und wollen möglichst formvollendet und technisch anspruchsvoll ein Dach auf- und zuklappen. Außerdem finden Sie kernige Schürzen und abgedunkelte Leuchten gut, stehen auf schwarze 20-Zöller (vom Porsche Turbo) und Sie haben einen Narren an Alcantara gefressen. Ein Hardcore-Purist und Leichtbau-Fanatiker sind Sie nicht unbedingt, schließlich wirkt der Targa GTS im Vergleich zu einem Carrera GTS wie frittiert und überbacken. Oder anders: Er wiegt satte 90 Kilo mehr. Sogar das Cabrio ist leichter. Auf der anderen Seite freuen Sie sich über etwas mehr Aggression im Aggregat, haben also gegen 30 Extra-PS, mehr Drehzahl sowie einen genüsslich spratzenden und brabbelnden Sportauspuff nichts einzuwenden.
Kaum noch Elfer mit Schaltung. Warum nur?
Um es zusammenzufassen: Sie sind ein ganz schön schräger Vogel. Allerdings einer mit einem guten Auge. Denn zumindest meiner bescheidenen Meinung nach sieht der Targa 4 GTS mitsamt seinem silber beholmten Dach einfach fabelhaft aus. Noch fabelhafter, als der Targa ohnehin aussieht. Eher für mich schön als für Sie: Porsche lud zur Probefahrt des neuen Nische-in-der-Nische-Elfers ins Ascari Race Resort mitsamt den atemberaubenden Bergstraßen in und um das nahegelegene Ronda. Um Flagge zu zeigen gegen den mittlerweile lausigen 911-Handschalter-Anteil von knapp zehn Prozent schnappte ich mir einen Targa mit manuellem Siebengang-Getriebe. Es wurde kürzlich überarbeitet und fühlt sich bei einem nach wie vor strammen Kupplungspedal nun etwas leichter, aber extrem kurz, präzise und einfacher in der Handhabung an. Es ist um Meilen besser als die neue Handschaltung im Jaguar F-Type.
Schwerer gleich schlechter?
Die weit wichtigere Frage, vor allem für unseren grübelnden Kunden, ist aber: Macht der neue Targa 4 GTS dynamisch einen merkbaren Unterschied? Nun, auf den kargen Hügeln von Malaga nach Ronda fiel zumindest auf, dass der 3,8-Liter-Boxer seine 430 PS und 440 Newtonmeter schon ein bisschen rastloser arbeiten lassen muss als beispielsweise in einem heckgetriebenen GTS-Coupé. Das wiegt schließlich ganze 135 Kilo weniger. Drehzahl ist also mehr denn je Trumpf, wenn sich was bewegen soll. Aber davon hat das Auto ja mehr als genug und alles, was nach 5.000 Touren passiert, ist auch im Targa 4 GTS ziemlich wunderbar.
Es sind Nuancen
Dank PTM (Porsches Kürzel für Allrad) bringt den neuesten GTS selbst ein Mix aus sehr schnellen, sehr engen Kurven und haarsträubendem Berg-Asphalt nicht aus der Ruhe. Gripniveau und Neutralität sind lange beängstigend hoch, bis das Auto irgendwann in leichtes Untersteuern gerät. Der Targa drängt also ein Fitzelchen mehr nach außen als vielleicht gewohnt. Die Gewichtsnachteile gegenüber den GTS-Coupés (auch der Schwerpunkt liegt wegen der aufwendigen und schweren Dachkonstruktion ungünstiger) sind aber wirklich nur minimal spürbar. Für die Untermauerung dieser These liefert Porsche sogar Zahlen: Der Targa 4 GTS verliert gegenüber einem Carrera GTS mit Hinterradantrieb auf der Nordschleife gerade mal drei Sekunden.
Auch auf der Strecke gut
Das bringt uns quasi übergangslos zum Ascari Race Resort, wo der am cleversten “überdachte” GTS ebenfalls eine superbe Figur abgab. Im Sport-Plus-Modus und mit der optionalen Wankstabilisierung PDCC neigt und rührt sich in der Fuhre so gut wie gar nichts mehr. Die ungeheure Chassis-Neutralität wirkt vor Effizienz beinahe zu perfekt und vernünftig. Zumindest muss man kein Walter Röhrl sein, um mit diesem Auto schnell zu fahren. Natürlich könnte der Wagen etwas leichter sein, aber Agilität und Vertrauen sind auf extrem hohem Niveau und das Verhalten am Limit entspricht ziemlich genau dem des Coupés. Die Regelsysteme sind unglaublich gut abgestimmt (man kommt dank der irren Traktion ohnehin kaum in den relevanten Bereich) und wenn die Haftung irgendwann sehr sehr spät doch mal abbricht, dann rutscht das Heck in einer sehr zufriedenstellenden und nicht bremsenden Art nach außen. Zudem macht die Lenkung in den Allrad-Modellen mehr Meldung von der Vorderachsfront, was bei ruppiger Gangart und hinterhältigen Kuppen durchaus hilfreich ist.
Rücken und Frisur halten
Ich gehe stark davon aus, dass so gut wie niemand mit seinem Targa 4 GTS jemals eine Rennstrecke besichtigen wird (den Parkplatz vor der Strecke nicht mitgezählt), aber er könnte, wenn er wollte. Und Spaß hätte er auch dabei. Die Parade-Disziplin des sportlichsten Targa dürfte aber der schnelle Landstraßen-Ritt am Sonntagmorgen bleiben. Der Restkomfort des serienmäßig adaptiven Fahrwerks ist wirklich beachtlich (das knüppelharte Sportfahrwerk mit 20 Millimeter Tieferlegung ist konstruktionsbedingt gar nicht zu haben) und obwohl man barrierefrei in den Himmel blickt, ist die liebevoll zurechtgeföhnte Frisur zu keiner Zeit in Gefahr. Schlechter oder besser als bei all den anderen 911-GTS-Modellen werden Sie mit dem Targa definitiv nicht abschneiden. Es bleibt halt eine Frage des persönlichen Geschmacks. Und eine des Geldbeutels natürlich.
Hoher Preis. Auf den ersten Blick
Der Porsche 911 Targa 4 GTS kostet mindestens 137.422 Euro. Damit ist er exakt so teuer wie das 911 Carrera 4 GTS Cabrio. Allerdings ist er auch über 12.000 Euro teurer als ein 400 PS starker Targa 4S. Dafür bekommen Sie bei identischen zehn Liter Normverbrauch einen kaum messbaren Beschleunigungsvorteil. Der freiere, noch wilder drehende Charakter des überarbeiteten Motors ist hingegen nicht messbar und allein die Leistungssteigerung kostet im Normalfall 13.804 Euro. Nehmen Sie noch die Sportabgasanlage und das Sport-Chrono-Paket für insgesamt knapp 4.200 Euro dazu und Sie erkennen, dass der Targa 4 GTS kein so schlechtes Angebot ist. Zumindest, wenn Sie die etwas herzhaftere Gangart bevorzugen. Ich persönlich würde mich zwar für einen handgeschalteten Carrera 2 GTS entscheiden, aber wenn viele Menschen einen Targa 4 GTS kaufen, kann ich das sehr gut nachvollziehen.
(sw)
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