Marseille (Frankreich), 5. Juni 2015
Modern, unbeschwert und pfiffig: Ja, genau so ist er, der Berlingo, zumindest laut Citroën. Und bei der Vorstellung des neuen Modells schiebt der Hersteller noch nach: vielseitig, praktisch, intelligent, familienorientiert und benutzerfreundlich, ja sogar dynamisch. Ähem. Also manche Adjektive muten bei einem Hochdachkombi ja doch ein wenig seltsam an. Oder ist das müßige Ameisen-Tätowiererei, überflüssiges Nörgeln? Ein bisschen schon, wir geben es zu – das ist eine Berufskrankheit. Wenden wir uns also den Tatsachen zu. Der Berlingo erhielt jetzt neben optischen Modifikationen auch neue Motoren und etwas mehr Technik. Wir haben ihn getestet.
Bestseller im Segment und bei Citroën
Rund 9.100 Berlingo wurden im Jahr 2014 verkauft. Damit steht der Citroën auf einem respektablen Platz zwei im Segment, muss nur dem VW Caddy den Vortritt lassen. Und das, obwohl die Liste der Hochdachkombis immer länger wird: Neben den beiden Genannten gibt es noch Renault Kangoo, Dacia Dokker, Ford Tourneo Connect, Nissan Evalia, Peugeot Partner, Fiat Doblò und Opel Combo, ja sogar Mercedes ist nun mit dem Citan dabei. Das sind zehn Stück, wir warten nur noch auf einen BMW und einen Porsche! In der markeninternen Verkaufsstatistik gehört der Berlingo ebenfalls zu den Bestsellern. Womit bewiesen wäre: Unser Testkandidat ist durchaus ein wichtiges Auto.
Ein spezielles Segment
Der Berlingo ist aber auch ein wenig speziell, wie alle Hochdachkombis. Äußerlich ist diese Gattung wahrlich keine Augenweide. Und innen muss man ebenfalls deutliche Abstriche bei Materialqualität und Ausstattung machen, wenn man PKWs gewohnt ist. Wer einen Hochdachkombi kauft, will ein Auto mit viel Stauraum und legt keinen Wert auf Shi-shi à la Klavierlack, hinterschäumte Oberflächen oder gar elektronische Assistenten.
Rustikales Plastik-Ambiente
Dementsprechend ist der Innenraum des Berlingo dann auch: Egal, wohin man klopft, es klingt ehrlich. Soll heißen: Es klingt danach, was es ist, nämlich Hartplastik. Auch die Schaltung macht passende Geräusche, beim Gangwechsel tönt es, wie wenn Kunststoff gegen Kunststoff knallt. Scharfe Kurven verbieten sich mit einem rund 1,80 Meter hohen (und kaum breiteren) Auto von vornherein. Wenn man doch mal zu schnell abbiegt, wankt die Karosserie deutlich nach außen, und der Oberkörper fällt zur Seite. Denn im Berlingo sitzt man eher auf Polstern als im Sitz. Der Hauptzweck des Berlingo liegt eben in dem, was hinter den Vordersitzen kommt: im Frachtabteil.
Der Fond ist nichts für Erwachsene
Für viel mehr als Fracht ist der hintere Berlingo-Teil nicht gemacht, jedenfalls sollte man keine Erwachsenen transportieren. Aber eins nach dem anderen. Wie in diesem Segment üblich, kommt man über Schiebetüren in den Fond, Ausstellfenster sind Serie. Bei den höheren Versionen gibt es hinten zwei Schiebetüren und drei Einzelsitze. Beinfreiheit ist genug vorhanden, Kopffreiheit sowieso. Aber jetzt kommts: Anders als bei den allermeisten Autos sind die drei Einzelplätze alle gleich breit. So passen drei Kindersitze nebeneinander hinein. Und wer Drillinge hat, erspart sich den Streit, wer auf dem schmalen Mittelsitz Platz nehmen muss. Für Erwachsene aber sind die Außensitze denkbar ungeeignet, weil sie schmaler sind als üblich. Und wegen des harten Plastikteils, das auf der Außenseite gegen die Schulter drückt.
Viel Volumen …
Hinter Reihe zwei ist der 4,38 Meter lange Berlingo aber noch nicht zu Ende, im Gegenteil. Es folgt ein riesiges Gepäckabteil, in das 675 Liter Zeug passt. Oder man wickelt die sogenannten Tumble-Sitze nach vorne, was noch mehr Platz für Gepäck schafft. Die Maximalkapazität wird erreicht, wenn man die Sitze ganz ausbaut – was wegen der hakeligen Mechanik nicht ganz einfach ist und zudem etwas Kraft erfordert. Sind die Möbel draußen, stehen dann nicht weniger als 3.000 Liter Volumen zur Verfügung. Das schafft kein Kombi, noch nicht mal ein Van à la VW Sharan oder Renault Espace. Das leisten nur Hochdachkombis oder ausgewachsene (und sauteure) Transporter wie der VW Multivan.
Aber bei der Zuladung ist der Caddy besser
Nur sollte man nicht zu viel Kies, Steine, Bücher oder dergleichen in den Berlingo einladen, sonst ist die Maximalzuladung von rund 500 bis 700 Kilo schnell erreicht. Hier bietet der VW Caddy mit seiner hinteren Starrachse mehr, er schafft je nach Version etwa 800 bis 1.000 Kilo. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Während der Berlingo limousinenmäßig sanft und komfortabel dahingleitet, poltert es beim Caddy schon erheblich, wenn man über eine Temposchwelle rollt.
Eine Heckklappe wie ein Scheunentor
Der Zugang zum Kofferraum ist dank der sehr niedrigen Ladekante und der scheunentorgroßen Heckklappe einfach. Nachteil: Die Klappe schwingt entsprechend weit auf, was in engen Parklücken ein Problem ist. Flügeltüren aber gibt es nur für die beiden günstigsten Ausstattungen, die nur mit wenigen Motoren kombinierbar sind. Daher dürfte ein neues Extra willkommen sein: die separat zu öffnende Heckscheibe für 120 Euro. Am Rande sei erwähnt: Gegen 700 Euro Aufpreis gibt es den Berlingo auch als Siebensitzer. Doch die zwei Zusatzsitze wurden bisher selten bestellt, da sie den Kofferraum blockieren. Wer sieben Sitze haben will, sollte sich besser den C4 Picasso mit seinen versenkbaren Möbeln ansehen.
120-PS-Diesel mit gutem Vortrieb
In puncto Antrieb erhält der Berlingo jetzt die neue Motorengeneration des PSA-Konzerns. Aber nur allmählich, denn als Benziner müssen noch die alten Sauger namens VTi 95 und VTi 120 herhalten. Auf der Dieselseite aber stehen die neuen Euro-6-Aggregate mit 1,6 Liter Hubraum zur Verfügung. Der Volumenmotor ist die 99-PS-Variante, wir fuhren jedoch die stärkere Version. Mit 120 Pferden und 300 Newtonmeter liefert sie guten Vortrieb.
Großer Adblue-Tank
Bei Autobahntempo – der Berlingo BlueHDI 120 schafft bis zu 174 km/h – wird es etwas laut, wozu vor allem Wind- und Abrollgeräusche beitragen. Das ideale Gefährt für lange Autobahnetappen ist der Berlingo nicht. Den Spritverbrauch gibt der Hersteller mit 4,4 Liter Diesel auf 100 Kilometer an, wir brauchten auf unserer Testfahrt wie üblich rund 50 Prozent mehr, nämlich 6,5 Liter laut Bordcomputer. Neben Sprit braucht der Wagen auch etwas Adblue. Der 17-Liter-Tank für das Abgasreinigungs-Additiv soll aber rund 20.000 Kilometer halten, was den Wartungsintervallen entspricht. Und sonst? Die Sechsgang-Schaltung erfreut durch die griffgünstige Position des Hebels, die Lenkung geht in Ordnung und zum Fahrwerk wurde bereits einiges gesagt.
Rückfahrkamera und Active City Break
Neu in der Extra-Liste sind eine Rückfahrkamera und Active City Break, ein Anti-Kollisionssystem, das Auffahrunfälle verhindert. Nachteil: Es funktioniert wegen der begrenzten Reichweite der Sensoren nur bis 30 km/h, wird darüber automatisch deaktiviert. Und wenn man nach der Notbremsung dummerweise direkt auf einem Bahnübergang steht, sollte man bei der Schaltversion zusehen, dass man den abgewürgten Motor wieder in Gang bekommt, bevor der nächste Zug den Berlingo plättet.
Mit 120-PS-Diesel ab 23.600 Euro
Den Berlingo BlueHDi 120 gibt es ab 23.600 Euro. Dafür bekommt man die Ausstattung Selection, die auch den Hauptteil der Berlingo-Verkäufe ausmachen soll. Die Ausstattung ist für das Luxushasser-Segment fast schon skandalös umfangreich: zwei Schiebetüren, Tempomat, elektrisch einstellbare Außenspiegel, CD-Radio, Klimaanlage, ja sogar Parkpiepser hinten sowie Licht- und Regensensor. Ein entsprechender VW Caddy ist rund 2.000 Euro teurer, aber nicht so gut ausgestattet. Der Caddy 2.0 TDI Trendline mit 102 PS kostet 25.549 Euro, jedoch ohne Klimaanlage, ohne Parkpiepser sowie ohne Licht- und Regenautomatik. Erheblich günstiger ist der Dacia Dokker Celebration mit 90-PS-Diesel für schier unglaubliche 14.290 Euro, Parkpiepser und die Sensoren können dazugeordert werden.
(sl)
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