Stuttgart, 8. Juli 2015
Das hier ist ein allererster Technik-Blick auf die kommende Mercedes E-Klasse und so viel sei schon mal vorweg genommen: Wenn die schwäbische Business-Limousine im Frühjahr 2016 auf den Markt kommt, dürften selbst die anspruchsvollsten Kunden ganz schön mit den Ohren schlackern. Damit meine ich ausdrücklich nicht das Design, die Güte des Innenraums oder das Fahrverhalten, denn bisher wissen wir weder, wie die Baureihe W 213 aussieht (äußerlich wohl wie eine aufgepumpte C-Klasse, innen eher wie eine geschrumpfte S-Klasse), noch wie gut sie sich steuern lässt. Dafür wissen wir nun, wie die nächste E-Klasse die Themen Sicherheit, Stressminderung und autonomes Fahren abhandeln wird. Und hier übertrumpft sie (mit zum Teil äußerst ungewöhnlich wirkenden Lösungen) sogar Oberklasse-Fahrzeuge wie die S-Klasse oder den neuen BMW 7er.
Sensoren bis zum Abwinken
Wenn selbst die eigenen Ingenieure bei den Namen der gefühlt 489 Assistenzsysteme häufiger aus dem Tritt kommen, wissen Sie, dass einiges geboten sein muss. Um das Ganze etwas zu vereinfachen: Alles, was bei der neuen E-Klasse irgendwie mit Fahrhilfen zu tun hat, wird nun von der vierten Generation “Intelligent Drive” gehandhabt. Wir zählten insgesamt 13 Sensoren, fünf Radarsensoren, fünf Kameras und einen sehr schlauen Rechner, der die gewaltige Menge an Informationen aufnimmt und sinnvoll verarbeitet.
Ziemlich autonom
Ganz neu ist, dass der Abstandspilot – ähnlich wie beim BMW 7er – nun bis zu Geschwindigkeiten von 200 km/h abbremst, beschleunigt und Lenkunterstützung gibt. Bis zu 130 km/h funktioniert die Lenkhilfe sogar ohne eindeutige Linien auf dem Asphalt, wie man das zum Beispiel von Baustellen kennt. Sie fahren auf Wunsch künftig also nur noch teilweise selbst und zwar egal ob auf der Autobahn, der Landstraße oder in der Stadt. Weil der Gesetzgeber hier noch einiges an Bauchschmerzen hat, müssen die Hände aber auch bei der neuen E-Klasse am Lenkrad bleiben. Dafür muss sich der E-Klasse-Fahrer keine Gedanken mehr über Tempolimits machen, denn die Verkehrsschildererkennung regelt die Geschwindigkeit nun selbständig ein.
Bremsen wie noch nie
Zum König des (teil-)autonomen Fahrens wird der neue Business-Benz schließlich durch eine massive Erweiterung seines Brems-Assistenten. Der kann jetzt auch Querverkehr, was bis zu einer Geschwindigkeit von 70 km/h Unfälle an Kreuzungen verhindern soll. Wenn Sie mit bis zu 90 km/h auf ein Stauende zurasen, haben Sie künftig ebenfalls nichts mehr zu befürchten. Kollisionen mit stehenden Fahrzeugen oder Fußgängern können bis 65 km/h verhindert werden. Und dann gibt es da noch eine Neuheit namens Ausweich-Lenk-Assistent, die etwas schärfer einlenkt und das Fahrzeug anschließend wieder geradestellt, falls sie einem Fußgänger oder einem Hinderniss nicht nachdrücklich genug ausweichen. Erweitert werden zudem Spurhalte- und Toter-Winkel-Assistent, die nun bei Kollisionsgefahr, etwa bei Spurwechseln oder Gegenverkehr, korrigierend eingreifen können.
Irre Pre-Safe-Funktionen
Sollte es trotz all der extrem cleveren Technik doch mal zum Crash kommen, wird es in der neuen E-Klasse erst richtig wild. Also im positiven Sinne natürlich. Das Pre-Safe-System, das den Fahrer bei einem Aufprall in die richtige Sitzposition schiebt, das Schiebedach schließt et cetera, gibt es zwar schon seit über zehn Jahren, nun wird es aber auf ziemlich irre Art erweitert. Den Beltbag für die äußeren Fondpassagiere kennen wir bereits aus der S-Klasse. Neu ist jedoch, dass sich die näher zur Tür befindliche Sitzwange bei einem Seitenaufprall pyrotechnisch aufbläst und den Insassen so ein paar Zentimeter von der Gefahrenzone wegbefördert. Gerade an der knautschzonenarmen Fahrzeugseite kann ein bisschen mehr “Luft” entscheidende Vorteile bringen
Gehörschutz beim Unfall
Mehr schonen als retten soll die dritte Neuheit namens Pre-Safe-Sound. Falls Sie kein HNO-Arzt sind, dann jetzt bitte genau aufpassen, denn hier können Sie noch was lernen: Ein “Stapedius” genannter Muskel im Ohr, zieht sich bei lauten Geräuschen (Sie wissen vielleicht, wie laut ein Unfall sein kann) reflexartig zusammen, verändert kurrzeitig die Ankopplung des Trommelfells ans Innenohr und schützt es so gegen hohe Schalldrücke. Die E-Klasse nutzt diesen Reflex und spielt vor einem Crash über die Soundanlage ein kurzes Rauschen ein. So wird Ihr Ohr vorkonditioniert und die Belastung ihres Gehörs reduziert. Na gut, es klingt nach dem sinnlosesten Feature des Jahrzehnts, aber immerhin wird die E-Klasse offiziell zur Tinitus-freien Zone.
Mit Car-to-X andere Verkehrsteilnehmer warnen
Entfernen wir uns nun wieder vom Horrorszenario “Eigener Unfall” und gehen wir davon aus, Sie haben an einer unübersichtlichen Stelle einen anderen Zusammenstoß, ein plötzliches Stauende oder ähnliches entdeckt. Wenn Sie ein gutherziger Mensch sind, möchten Sie andere Verkehrsteilnehmer womöglich gerne davor warnen und Mercedes gibt ihnen jetzt erstmals die Technologie dafür an die Hand. Im Prinzip müssen Sie noch nicht einmal sonderlich gutherzig sein, denn die sogenannten Car-to-X-Technologie sendet (und empfängt) diese Warnungen auch ganz automatisch. Car-to-X funktioniert über die im Fahrzeug integrierte Mobilfunk-Technik. Von dort aus gehen die Daten an Daimlers Vehicle- Backend-Server, der die relevanten Informationen aussortiert und sie an andere Car-to-X-fähige Verkehrsteilnehmer weiterleitet. Auch Gefahren wie aufziehende Schlechtwetterfronten sollen angezeigt werden. In Zukunft möchte man auch Informationen von sich nähernden Einsatzfahrzeugen empfangen. Mercedes ist der erste Hersteller, der Car-to-X einführt. Man erwartet jedoch, das weitere Fahrzeugbauer nachziehen werden.
Verbessertes LED-Licht
Damit Sie uns vor lauter Innovation nicht vom Stuhl kippen, nur noch zwei kleine, aber recht einschneidende E-Klasse-Neuerungen. Die erste betrifft das Licht, welches für eine maximale Ausleuchtung künftig mit 84 statt 24 LEDs pro Scheinwerfer agiert. Jedes einzelne davon ist elektronisch ansteuerbar, was eine deutlich komplettere Fahrbahnausleuchtung garantieren soll, ohne den Gegenverkehr zu blenden. Bei Regen sollen zudem die Reflexionen auf der Gegenfahrbahn reduziert werden. Um den Komfort der anderen Verkehrsteilnehmer kümmern sich auch die Rückleuchten, die je nach Fahrsituation oder Tageszeit unterschiedlich hell leuchten. Nachts an der Ampel wird die Intensität zum Beispiel heruntergeschraubt, um den Hintermann nicht zu irritieren.
Schlüssel? Smartphone!
Kommen wir noch zu einem Punkt, der vor allem den “typischen” E-Klasse-Fahrer unter 30 begeistern dürfte: Die fünfte Generation wird nämlich in ungewohnter Ausprägung das eigene Smartphone integrieren. So wird es möglich sein, das Auto per Handy zu öffnen, zu schließen und zu starten. Damit nicht jeder Ihre E-Klasse öffnen, schließen oder starten kann, sind eine NFC-Schnittstelle (Near Field Communication) sowie eine Secure-SIM-Karte vonnöten. Der neue “Smartphone-Schlüssel” speichert auch individuelle Einstellungen wie Sitzposition oder Senderwahl.
Parken mit dem Handy
Und ob Sie es glauben oder nicht: Auch beim Parken werden Sie künftig in ihr Smartphone glotzen. Als BMW vor kurzem mit dem 7er das erste Serienauto der Welt vorstellte, das einparkt, ohne dass jemand im Fahrzeug sitzt, waren viele Menschen völlig perplex. Nun, die E-Klasse setzt auch hier noch einen drauf. Sie kann das nämlich nicht nur in Quer- sondern auch in Längsparklücken. Die Steuerung des autonomen Parkvorgangs erfolgt per Smartphone-App. Mit einer Kreisbewegung auf dem Display schicken Sie das Auto los, Finger vom Handy und der Wagen stoppt. Witzige Parkanekdote am Rande: Sogar Menschen die gerne mal Vorwärts- und Rückwärtsgang verwechseln (bevorzugt also Kunden im klassischen Limousinen-Alter) macht die neue E-Klasse den Randale-Garaus. Erkennt sie also eine Garagenwand, die sich nicht so ganz mit dem eingelegten Gang verträgt, fährt sie gar nicht erst los.
Nur der Anfang
Natürlich sind die meisten dieser neuen Assistenz- und Komfortfeatures zum Marktstart im Frühjahr 2016 nur gegen Aufpreis erhältlich, aber Mercedes macht mit der kommenden E-Klasse einen gewaltigen Schritt in Richtung autonomes und unfallfreies Fahren. Der neue BMW 5er kommt übrigens 2017. Mal sehen, wie die Münchener antworten. Der Technologie-Overkill hat gerade erst begonnen.
(sw)
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