Der Mehr-Bock-Boxster: Test Porsche Boxster Spyder 2015 mit technischen Daten, Preis und Marktstart

July 10, 2015

Stärker, leichter und mit einem ziemlich ausgefuchsten Dach: Der neue Porsche Boxster Spyder im ersten Test

Die Silhouette gewinnt durch die neue Heckklappe deutlich an Dramatik

Die Double-Bubble-Heckklappe ist eine Hommage an den 718 Spyder aus den 1960er-Jahren. Die Schürzen stammen vom Cayman GT4

Florenz (Italien), 3. Juli 2015
Sie wünschen sich nichts sehnlicher als einen Porsche Cayman GT4 ohne Dach? Nun … also … hier ist das Ding. “Das Ding” ist der neue Boxster Spyder, der stärkste, schnellste, radikalste, maskulinste (und was Ihnen noch so alles an Superlativen einfällt) Boxster aller Zeiten. Ich habe tatsächlich noch zwei weitere Superlative in Petto, aber zu denen komme ich gleich. Lassen Sie uns zuerst über die wichtigen Sachen sprechen!

Teufel im Detail
In Sachen Wichtigkeit ganz vorne: Im Spyder schlägt erstmals das 3,8-Liter-Herz des 911 Carrera S, hier mit 375 PS und 420 Newtonmeter. Aus Gründen der Positionierung sind das zehn PS (und null Newtonmeter) weniger als im Cayman GT4. Vom überdachten Rennbahn-Bruder erbt er aber das verzückende Sechsgang-Schaltgetriebe (auch hier gilt: Wer eine Doppelkupplung will, ist raus) sowie eine entsetzlich ungezogene Sportabgasanlage. Das nächste “gewichtige” Spyder-Plus: Er ist 30 Kilo leichter als ein Boxster GTS. Die Zuffenhausener Fittness-Trainer setzten dafür vor allem am Dach an. Es ist nun weniger gedämmt, weniger (oder eher gar nicht) elektrisch und auch insgesamt einfach weniger. Das bringt elf Kilo an einer fahrdynamisch äußerst günstigen Stelle, nämlich ganz oben. Der Rest des Diät-Schlachtfestes geht auf das Konto der neuen, superdünnen Carbon-Schalensitze sowie einer Vielzahl winziger Detail-Fitzelchen. Fitzelchen-Beispiel gefällig? Porsches berühmte Türöffner-Schlaufen sparen 250 Gramm. Halleluja.

Nie war er schöner
Um beim Spyder den Purismus-Hahn weiter aufzudrehen, verweigert Porsche ab Werk flauschige Features wie Klimaanlage oder Radio. Der nicht ganz so puristische Purist kriegt beides aber auf Wunsch ohne Aufpreis dazu. An alle Daten-Nerds: Die Klimaanlage wiegt neun Kilo, ohne Sie wäre ich auf der Testfahrt in der 40 Grad heißen Toskana aber vermutlich verglüht. Für mehr optischen Wumms sorgen die Schürzen des GT4 und eine neue, ziemlich lange “Double-Bubble”-Porsche-718-Gedenk-Heckklappe, an deren Ende ein fast schon monumentaler Spoiler-Bürzel hängt. Und damit wären wir beim ersten der weiteren Superlative, denn zumindest meiner bescheidenen Meinung nach hat Porsche mit diesem Spyder den schönsten und begehrenswertesten Boxster gebaut, den es je gab.

Nicht ganz GT4
Das mit dem offenen GT4 war allerdings ein wenig geflunkert, denn selbst wenn der Spyder so aussieht, so angetrieben wird, so bremst und so lenkt (kleineres Lenkrad, direktere elektrische Lenkung aus dem 911 Turbo) wie der bereits ausverkaufte Über-Cayman, so fehlt doch ein nicht ganz unerhebliches Detail. Die Achsen aus dem 911 GT3 bleiben dem schärfsten Boxster vorenthalten, Porsche Motorsport hatte seine Finger in diesem Fall nicht im Spiel. Positionierung, Sie wissen schon. Außerdem, so sagt es Steffen König, Projektleiter Aufbau für Boxster und Cayman, sei das supersteife GT3-Chassis ohne ein festes Dach “etwas problematisch”. Die Alternative kommt in Form des optionalen und 20 Millimeter tieferen Sportfahrwerks aus dem Boxster GTS. Dazu gibt es das Sport-Chrono-Paket, dynamische Getriebelager, breitere Hinterräder, Torque Vectoring und ein vernünftiges mechanisches Sperrdifferenzial.

Auf diese Maschine hat der Boxster gewartet
Und damit kommen wir endlich zu des Pudels Kern, denn sicher fragen Sie sich schon seit etwa drei Absätzen, ob der stärkste, schönste, purste und wundervollste Porsche Boxster in diesem Universum denn auch so stark, schön, pur und wundervoll fährt. Die knappe Antwort lautet: Haben Sie wirklich daran gezweifelt? Die etwas ausführlichere Antwort geht so: Der große Motor tut dem Boxster wirklich unglaublich gut. 4,5 Sekunden auf 100 km/h und 290 km/h Spitze (jetzt auch mit Dach) sind beim nächsten Kneipenplausch sicher recht hilfreich, aber es ist das pure Plus an Wucht, das aus dem verspielten Jüngling einen ganzen Kerl macht.

Fast schon zu viel Lärm
Wie alle Boxster glänzt auch dieser mit irrem Ansprechverhalten und viel Lust auf Drehzahl. Im Vergleich zum Boxster S und GTS ist die Alarmstufe hier aber nicht mehr gelb-orange, sondern knallrot. Ach ja, und er klingt noch ein ganzes Eck lauter und intensiver als der reichlich laute und intensive GTS (hiermit wären wir bei meinem zweiten Superlativ angelangt). Ein ganz eigener Soundtrack, der sich beim Ausdrehen nach einer sehr gemeinen, mit Whiskey gurgelnden Kreissäge anhört und jedes vom Gas gehen mit einem kapitalen “Rappappapp-Peng-Rappappapp” feiert. Mit offener Auspuffklappe ist es fast schon zu viel des Guten, aber reißen Sie mal in einem Tunnel das Gas auf und Sie wissen, wie sich echte Gänsehaut anfühlt.

Die Schaltung: Weltklasse
Die 50 Extra-Newtonmeter gegenüber dem GTS könnten Ihnen womöglich helfen, etwas schaltfauler zu fahren, aber das werden Sie nicht wollen. Der Grund ist die kürzere, manuelle Sechsgang-Box, die im Sport-Plus-Modus mit Zwischengasfunktion arbeitet und zum absolut Besten gehört, worauf man seine rechte Hand so legen kann. Wenn die Straßen enger und kurviger werden, werden Sie obendrein merken, dass man mit keinem Boxster so gut eins werden kann, wie mit diesem. Der Spyder lenkt noch ein ganzes Eck zackiger ein, bremst dank der 340-Millimeter-Anlage aus dem Carrera S noch ein bisschen feiner und knallt noch ein bisschen sauberer durch jegliches Eck. Dabei dreht sich das Heck spürbar mit ein und unterstützt eine möglichst enge Linie. Und selbst in schnell gefahrenen Kehren mit sehr schlechtem Asphalt verliert der Spyder nie den Überblick, bleibt ruhig und gut kontrollierbar.

Merklich besser
Wenn Sie alle Regelsysteme ausschalten, werden Sie spüren, wie die Extra-Kraft des großen Motors die Entfesselung des Hinterteils vereinfacht. Keine Sorge, der Spyder ist bei weitem kein Pirelli-fressender Filou, aber wer Lust auf ein rutschendes (und trotzdem sehr einfach zu korrigierendes) Heck hat, der kriegt es nun eben ein bisschen müheloser serviert. Viel mehr Befriedigung wird man – wenn man nicht komplett auf eine gewisse Alltagstauglichkeit pfeift – auf einer schönen Bergstraße nicht erhalten. Kritik? Nicht wirklich. Allerdings geht es – auch dank der 20-Zöller – manchmal schon recht ruppig zu. Der Spyder ist natürlich nicht ganz auf dem Level des Caymann GT4 (auf der Nordschleife verliert er laut Porsche mit einer Zeit von 7:47 Minuten genau sieben Sekunden), aber er ist fahrdynamisch nochmal eine spürbare Stufe über den restlichen Boxster-Derivaten.

Verdeck? Ein bisschen kompliziert
Wenn Sie jetzt noch bei mir sind und sagen: “Mensch, das hört sich aber gut an”, dann scheint Ihnen ein Stück ehrliche Handarbeit nichts auszumachen. Das bringt mich zum Verdeck, das hauptsächlich ehrliche Handarbeit benötigt. Entriegelt wird alles über einen Knopf in der Mittelkonsole. Anschließend steigen Sie aus, entclipsen die beiden Finnen, stecken sie in die dafür vorgesehenen Öffnungen, lassen die Heckklappe nach hinten oben aufschwingen, ziehen das Verdeck zurück, stopfen es ein bisschen nach unten, machen die Klappe wieder zu, schließen zwei kleine Abdeckungen, fertig. Es klingt komplizierter als es ist und von Lotus-ähnlicher Lebensgefahr für die eigenen Finger ist man auch meilenweit entfernt.

Hoher Preis. Auf den ersten Blick
Bleibt noch der Preis. Neben dem langsam wirklich etwas angestaubten Navi (das man als echter Spyder-Purist ja eh nicht bestellt) der einzige Punkt an diesem Auto, der einen nicht völlig glückselig macht. Mindestens 79.945 Euro will man in Zuffenhausen für den bisher besten Boxster sehen. Damit ist er knapp 8.700 Euro teurer als ein Boxster GTS. Wie viele gebaut werden, sagt Porsche nicht. Richtig groß dürften die Stückzahlen allerdings nicht werden und schon Mitte nächsten Jahres wird der neue Boxster inklusive (nach diesem Erlebnis noch schwerer vorstellbarer) Vierzylinder-Turbos in den Startlöchern stehen. Wer etwas annähernd ähnliches will, muss auf den gänzlich kompromisslosen Lotus Exige S Roadster (ab 69.040 Euro) oder den insgesamt deutlich schwächeren Alfa Romeo 4C Spider (ab 72.200 Euro) zurückgreifen. Nach wie vor unschlüssig? Dann hier noch ein kleiner Tipp: Schauen Sie mal auf die Gebrauchtwagenpreise des Spyder-Vorgängers. Bei diesem hier dürfte es nicht anders werden.
(sw)

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