Neuwied, 12. August 2015
Na gut, ja, man muss schon ein bisschen einen an der Waffel haben, um (je nach Modell) irgendwas zwischen knapp 28.000 und 85.000 Euro für ein Gefährt auszugeben, das in etwa so sicher und komfortabel ist wie ein Flug mit einer Cruise Missile über einen ausbrechenden Vulkan. Auf der anderen Seite verteilt ein Caterham aber auch Adrenalinschübe, die sonst wohl nur Raketenflüge in der Nähe brennender Berge erzeugen.
Gebrechlich oder völlig irre
Ähnlich kurios und gewagt wie das Auto an sich ist auch das derzeitige Modellprogramm des Sportwagenherstellers aus dem englischen Dartford. Auf der einen Seite gibt es den beinahe niedlichen 165 mit einem 80 PS starken Turbo-Dreizylinder von Suzuki, auf der anderen, sehr gemeinen Seite stehen der psychisch grenzwertige 485 mit 240 PS und der von allen guten Geistern verlassene 620R mit 310-Kompressor-PS. Nur, dass wir uns richtig verstehen: Diese Autos wiegen zirca 500 Kilo und verfügen als “Schutz” über seltsame Hüllen, die man nur mit viel Wohlwollen als Tür oder Dach bezeichnen kann.
Neuer Ford-Sauger mit 137 PS
In die Mitte des Wahnsinns platzt nun, mir nichts dir nichts, ein ganz “neuer” Caterham Seven. Der 275 erhält Fords 1,6-Liter-Sigma-Motor mit variabler Ventilsteuerung, der bis Ende 2012 im Fiesta Sport Dienst tat. Hier leistet er 137 PS und 165 Newtonmeter. Klingt nicht gerade, als könnte er die Haut vom Pudding ziehen, aber bitte erinnern sie sich an 540 Kilo Gewicht. Das Kilo-pro-PS-Verhältnis liegt auf dem Niveau eines Porsche 911 Carrera. Von der Leichtigkeit geküsst, sprintet der 275 also in glatten fünf Sekunden auf 100 km/h. Schluß ist bei (zumindest in diesem Auto ziemlich haarsträubenden) 196 Sachen. Serienmäßig erfolgt die Kraftübertragung nach hinten über ein Fünfgang-Schaltgetriebe, in unserem Testwagen war jedoch die optionale Sechsgang-Schaltbox verbaut.
S und R
Das Fahrwerk besteht aus doppelten Dreieckslenkern vorne und einer DeDion-Achse hinten. Wie die meisten Caterhams kann auch der 275 als S- oder R-Modell geordert werden. Der S ist mehr auf zivilere Nutzung aus und beinhaltet Komfort-Schmankerl wie Ledersitze oder einen Teppich (!). Unser 275 ist allerdings ein R, optimiert für enthusiastischere Straßen- oder Rennstreckenausflüge. Ausdruck findet das in einem mechanischen Hinterachs-Sperrdifferenzial, einem einstellbaren Bilstein-Fahrwerk, einem verstellbaren Hinterachs-Stabilisator, der Bremse aus dem manischen 620R, Vierpunktgurten und jeder Menge Carbon an Karosserie und Cockpit. Außerdem verfügt der R über 15-Zöller mit Cupbereifung. Drollige 13-Zöller mit Avon-ZZ-S-Semi-Slick-Gummis sind, wie in unserem Fall, aber auch möglich.
Etwas eng
Bevor das verheißungsvolle Vergnügen beginnen kann, geht es aber erst mal darum, das kleine Stück Blech zu entern, ohne dabei auszusehen wie ein totaler Vollidiot. Das gelingt nicht auf Anhieb, aber nach ein, zwei Versuchen hat man seinen Leib so weit zusammengefaltet, dass ein halbwegs elegantes “Reinrutschen” relativ unfallfrei über die Bühne geht. Kleiner Tipp: Ziehen Sie zum Fahren das kleinste Paar Schuhe an, das Sie finden können oder noch besser: Implantieren sie sich Ziegenhufe. Hier sind alle drei Pedale in etwa so groß, wie ein einziges in ihrem SUV, Van oder Kombi. Sollte alles nichts helfen: Es gibt auch eine SV-Version mit längerem und breiterem Chassis. Sie sieht zumindest von außen deutlich bequemer aus.
Mensch und Maschine. Sonst nichts
Einmal auf der Straße ist der neue 275 wie Caterhams eben so sind – absolut hinreißend und amüsanter als alles, was man nicht im Liegen macht. Auch mit “nur” 137 PS bleibt er in Sachen Agilität und Lebendigkeit weitgehend unerreicht. Die Lenkung ist nicht von dieser Welt, das Bremsgefühl gleicht einem Wunder und generell wirkt es so, als wäre ein Caterham erst fertig gebaut, wenn der Fahrer drinsitzt. Mehr Verbindung zwischen Mensch und Maschine scheint jedenfalls nur schwer vorstellbar.
Wie 137 PS beißen können
Der 1,6-Liter-Ford-Sauger spricht schon bei knapp 2.000 Touren gnadenlos rabiat an und dreht (nicht nur wegen der leichteren Schwungscheibe des R) mit fast schon tollwütiger Verbissenheit bis zur Drehzahlgrenze bei 7.200 U/min. Der Schalthebel des Sechsgang-Getriebes ist zwar so kurz, dass man ihn fast nicht findet, aber die Gangwechsel sind eine knapp gestufte, punktgenaue Offenbarung. Die Sechsgang-Box ist den Aufpreis definitiv wert.
Besser zugänglich
Während sich der dreizylindrige 165 mit seinen 107 Newtonmetern und den dürren Reifchen zwar von Grund auf richtig, aber immer etwas klapprig anfühlt, ist der 275 alles, was man sich nur wünschen kann. Klar, dieses fast unglaubliche “Ist-das-physikalisch-wirklich-möglich?”-Gefühl, das einem der 485 oder der 620R in die Hirnwindungen prügelt, erreicht der 275 eher nicht. Allerdings macht er den Spaß leichter zugänglich, weil schon niedrigere Geschwindigkeiten ausreichen, um die komplette Caterham-Magie zu spüren. Dieses Auto ist wirklich kreuzbrav abgestimmt und nicht so giftig, wie die stärkeren Varianten. Dennoch kann man wunderbar mit ihm spielen und sich relativ gefahrlos an all das lustige Zeug wie die kleinen bis mittelschweren Heckschwenks herantasten. Und wenn Sie das Gefühl haben, einen heroischen Drift auch mal länger halten zu wollen, ist dafür auf jeden Fall genug Kraft vorhanden.
Bloß nicht auf die Autobahn
Schwächen? Ich würde es vielleicht nicht unbedingt als Schwäche bezeichnen, aber der 275 bleibt bei Sound, Speed und schierer Dramatik doch etwas hinter den denkwürdigen Varianten mit 240 und 310 PS zurück. Wenn Sie Caterhams gewohnt sind und vielleicht öfter mal auf die Rennstrecke gehen, könnte also vielleicht irgendwann der Wunsch nach etwas mehr Bumms und Theater aufkommen. Aber wirklich nur dann. Ansonsten rate ich dringend vor Fahrten auf der Autobahn ab. Vor allem wenn man die klapprigen Türpappen mit den wild vibrierenden Außenspiegeln demontiert hat, fühlt man sich schnell wie ein schlecht genährter Goldfisch in einem Becken voller hungriger Walfische und Killerhaie.
Nicht billig, aber unbezahlbar
Und dennoch: Der neue 275 bietet ziemlich genau das Erlebnis, das man sich von einem Caterham erhofft: Simplen, elementaren und durchdringenden Fahrspaß zu einem gerade noch vertretbaren Preis. Los geht’s bei 35.695 Euro. Der Caterham 275R ist ab 42.775 Euro zu haben. Zum Vergleich: Der deutlich schwächere Caterham 165 startet bei 28.554 Euro, der infernalische Caterham 485 kostet mindestens 54.621 Euro. Und die Konkurrenz? Allzu viel ist hier nicht geboten. Der 136 PS starke Lotus Elise Club Racer (ab 40.940 Euro) wirkt im Vergleich schon fast wie ein Tanker, bietet aber zumindest Grundlagen an Komfort oder passiver Sicherheit. Das launigere, wenn auch deutlich kompromissbehaftere Auto ist aber der 275.
(sw)
- Zur Bildergalerie (23 Bilder)
- Immer informiert mit AutoNEWS: Mit einem Klick zum Newsletter
Leave a Reply