Erste Mitfahrt im Porsche 911 Facelift mit technischen Daten, Preisen und Marktstart

September 9, 2015

Machen Turbos das Elfer-Feeling kaputt? Wir durften schon im brandneuen 911 Carrera mit Biturbo-Motor mitfahren und geben die Antwort

In puncto Klang müssen Sie sich keine Sorgen machen. Selbst mit Turbos klingt der Elfer, wie ein Elfer klingen muss. Auch Ansprechverhalten und Drehfreude (die Maximal-Drehzahl liegt bei 7.500 Touren) scheinen zu passen

Der komplett neue 3,0-Liter-Sechszylinder-Biturbo-Boxer mit unten liegenden Turboladern bringt es maximal auf 420 PS und 500 Newtonmeter

Hockenheim, 8. September 2015
Dass ein Aufschrei des Entsetzens durchs gelobte Porscheland (und irgendwie auch durch die gesamte Sportwagenwelt) gehen würde, damit durfte gerechnet werden. Spätestens seit irgendwann gegen Mitte letzten Jahres klar war, dass auch der Elfer mit seinem nächsten Facelift ein Paar dieser verhassten Turbolader ins Heck geschnallt bekommt.

Auch Ikonen müssen sparen
Die Gründe für den heiklen Schritt dürften weitgehend bekannt sein. Schärfere CO2-Ausstoß-Regularien und Flottenverbrauchswerte machen eben auch vor Ikonen nicht halt. Jetzt waren 911 Carrera und Carrera S zwar schon vorher keine ausgemachten Spritschleudern, aber wer die Akribie eines schwäbischen Motorenentwicklers kennt, der weiß: “A bissle was geht allerwei.” A bissle was heißt in diesem Fall: eine CO2-Reduktion um bis zu 14 Prozent. Etwas anschaulicher bedeutet das: Der Carrera braucht mit PDK-Getriebe jetzt noch 7,4 Liter und emittiert 169 Gramm pro Kilometer CO2 (bisher: 8,2 und 189), beim Carrera S sind es 7,7 Liter und 174 Gramm (bisher: 8,7 und 199).

Bloß kein klassischer Turbo
Und weil Porsche ein neues Modell selten bis gar nicht ohne ein nennenswertes Stück Mehrleistung auf die Straße lässt – Carrera und Carrera S erhalten jeweils 20 PS und 60 Newtonmeter mehr – war der “Tabubruch” (der spätestens seit dem Ferrari 488 GTB gar nicht mehr so tabubruchig ist) endgültig unumgänglich. In etwa dreijähriger Entwicklungszeit entstand nun also ein 3,0-Liter-Sechszylinder-Biturbo-Boxer, der sehr sehr viele schlaue Dinge tut, nur um von den Puristen und sogenannten Experten (sprich: den ewig meckernden Journalisten) nicht das Prädikat “der Fortschritt macht alles nur schlimmer” aufgedrückt zu bekommen.

Eigentlich alles neu
All die Maßnahmen aufzuzählen, die das neue Turbo-Aggregat zu einem echten Sport- (und Spar-) Motor machen sollen, würde hier wohl eklatant den Rahmen sprengen und Menschen ohne Ingenieursstudium womöglich auch ein wenig langweilen. Die leichter verdauliche Kurzform sieht folgendes vor: Weiterhin sechs Zylinder, etwas weniger Hubraum, dafür zwei seitlich unten liegende Wastegate-Turbolader (Porsche nennt das “Rightsizing”, weil Downsizing und Porsche einfach nicht so gut zusammenpassen will). Es gibt ein komplett neues Luftführungssystem mit zentraler Ansaugung und zwei Ladeluftkühlern sowie einen neuen Zylinderkopf und eine beidseitig adaptive Ventilsteuerung mit einer variablen Nockenwelle an der Ein- und erstmals auch an der Auslassseite, was das Ansprechverhalten bei niedrigen Drehzahlen signifikant verbessern soll.

Diagramm-Sieger
Im 911 Carrera kommt der neue Biturbo auf 370 PS und 450 Newtonmeter, im Carrera S auf 420 PS und 500 Newtonmeter. Der S holt die dickeren Werte durch größere Verdichter am Turbolader, eine geänderte Abgasanlage (mit Klappensteuerung) sowie eine Erhöhung des Ladedrucks von 0,9 auf 1,1 bar. Unabhängig von der Variante liegt das volle Drehmoment bereits bei 1.700 U/min an und es steht wie eine sehr dicke Wand bis hinauf auf 5.000 U/min. Seine Nennleistung liefert der erste Turbo-Carrera bei 6.500 Touren. Die Höchstdrehzahl liegt bei 7.500 Touren. Zum Vergleich: Der bisherige 3,8-Liter-Sauger des Carrera S hatte seine Leistungs- und Drehmomentspitze bei 7.400 beziehungsweise 5.600 Touren und drehte maximal 7.800 Touren. Ein Blick aufs Leistungsdiagramm bestätigt den Verdacht: Es gibt von allem deutlich mehr als vorher. Und das trotz Aufladung auch über beängstigend große Teile des Drehzahlbandes.

Natürlich noch schneller
Wenig überraschend sorgt der vieldiskutierte Antrieb auch für bessere Fahrleistungen: Mit PDK und Sport-Chrono-Paket knallt der Carrera S nun in 3,9 Sekunden auf 100 km/h (vorher: 4,1 Sekunden), womit er ganz offiziell der erste Carrera ist, dem dieses Kunststück in unter vier Sekunden gelingt. Der normale Carrera braucht in gleicher Konfiguration 4,2 Sekunden (vorher: 4,4 Sekunden). Die Höchstgeschwindigkeiten liegen bei 295 beziehungsweise 308 km/h.

Sparen wo es geht
Im Vergleich zu den alten Saugmotoren ist das neue Turbo-Triebwerk dank diverser Leichtbaumaßnahmen (allein Optimierungen an Kurbelgehäuse, Ölwanne und Ölpumpe bringen über fünf Kilo) “nur” um gut 20 Kilo schwerer geworden. Laut Porsche-Motorenchef Jörg Kerner, der den neuen Turbo-Motor als sein Baby bezeichnet, sorgt eine komplette Biturbo-Implementierung normalerweise für ein Mehrgewicht von gut 35 Kilo. Weitere wertvolle Tropfen gewinnt man in Zuffenhausen zudem durch erstmals abschaltbare Wasserpumpen und Klimakompressoren sowie durch einige fürchterlich kluge Detailverbesserungen am Doppelkupplungsgetriebe. Davon betroffen sind das Segeln und das Start-Stopp-System. Außerdem gibt es nun auch die aus dem 911 Turbo bekannten virtuellen Zwischengänge, die bei ruhiger Fahrweise die Drehzahl senken. Aerodynamisch hilft man unter anderem mit neuen, aktiven Kühlluftklappen an den deutlich gewachsenen Front-Lufteinlässen nach. Der cW-Wert sinkt auf 0,29.

Spannung in Hockenheim
So beeindruckend Porsches Technik-Feuerwerk in der Theorie auch klingen mag: Wenn der neue Elfer nicht standesgemäß anspricht, dreht und brabbelt, war alles für die Katz. Um uns davon zu überzeugen, dass alles nach wie vor anspricht, dreht und brabbelt, schickt uns Porsche – diesmal noch auf dem Beifahrersitz – auf ein paar schnelle Hockenheim-Runden. Ich sitze in einem normalen Carrera mit der normalen Auspuffanlage und Schaltgetriebe. Es ist also so grundehrlich, wie es nur geht und wenn das hier funkioniert und emotionalisiert, hat man in Zuffenhausen wirklich alles richtig gemacht. Wir starten im Normalmodus (mit dem optionalen Sport-Chrono-Paket gibt es zusätzlich die Modi Sport, Sport Plus und Individual, die man wie beim großen 918 mit einem schicken neuen Ring-Schalter am Lenkrad verstellen kann) und feuern gleich ein paar ordentliche Drehzahlen ab.

Klang? Passt
Zur Beruhigung vorneweg: Der typische Boxer-Sound wird dem Carrera auch in der neuen Turbo-Ära erhalten bleiben. Gleich zwei Soundkanäle übertragen das Ansauggeräusch in den Innenraum. Alles echt, keine Computer-Arien, sagt Porsche. Und? Es funktioniert. Der Elfer boxert wie eh und je. Nur, dass es jetzt eben auch ein bisschen pfeift. Vielleicht ist der Klang ein Fitzelchen dezenter als bisher, aber würde man Sie mit verbundenen Augen in dieses Auto setzen, Sie wüssten ziemlich schnell ziemlich genau worin Sie sich gerade befinden. Natürlich ist es nur ein Einduck von nebenan, aber auch das Ansprechverhalten, selbst im untertourigen Bereich, wirkt in diesem aufgeladenen Facelift-Carrera äußerst beeindruckend. Wir gehen in den Sportmodus und sofort plustert sich der Elfer auf. Er ist jetzt lauter und wacher. Und nochmal: Der Klang ist definitiv auch für Berufspessimisten zufriedenstellend. Sogar ohne die optionale Sportabgasanlage, die man künftig an den mittigen Endrohren erkennen wird, ist das Porsche wie es sein soll.

Daran kann man sich gewöhnen
Die komplette Drehzahlmitte ist natürlich deutlich monumentaler als man das von den alten Saugern gewohnt war. Wie forsch und mutig der Dreiliter-Biturbo aber selbst jenseits der 6.000 Touren aufgeigt, überrascht dann doch ein wenig. Drücken Sie zusätzlich den neuen “Performance-Knopf” in der Mitte des Lenkrad-Ringschalters und für 20 Sekunden gibt Ihnen der Elfer alles, was er hat. Was für geschmeidigere Überholvorgänge gedacht ist, hat eine Art Fast-and-Furious-Humor, den man den Zuffenhausenern gar nicht zugetraut hätte. Die absolute Gier, mit der der Basis-Carrera jetzt nach vorne schießt, ist dennoch äußerst amüsant. Es mag letztlich nicht ganz das grell kreischende Drehzahl-Feuerwerk sein wie bisher, allerdings – so ist zumindest der erste Mitfahr-Eindruck – sollten sich alle bis auf die unverbesserlichsten Puristen sehr gut mit dieser Art der Kraftentfaltung anfreunden können.

Mehr Spreitzung im Fahrwerk
Zu den Änderungen im Fahrwerksbereich lässt sich auf einem topfebenen und an diesem Tag reichlich durchnässten Kurs wie dem Hockenheimring natürlich wenig sagen. Nur soviel: Der 911 Carrera Facelift liegt zehn Millimeter tiefer als bisher und hat das adaptive und mit neuen Dämpfern versehene PASM-Fahrwerk nun serienmäßig an Bord. Porsche verspricht sich dadurch eine noch größere Spreitzung zwischen “Volle Pulle” und Alltagstauglichkeit. Mit der neuen ESP-Zwischenstufe “PSM-Sport” lassen sich darüber hinaus recht gewagte Driftwinkel fahren, ohne dass der Sicherheits-Fallschirm komplett über Bord geworfen wird. Auf dem regennassen Ring war das mehr als eindrucksvoll zu sehen. Wenn Sie auf kleine Wendekreise und etwas mehr Stabilität bei schnellen Kurven stehen, kriegen Sie (nur im Carrera S) gegen Aufpreis nun auch die aus 911 Turbo und den GT3-Modellen bekannte Hinterachslenkung. Ebenfalls optional, aber für alle Modelle: Eine Vorderachs-Liftfunktion, die Tiefgaragen und sonstigen steilen Auffahrten die lange Nase zeigt.

Moderne Zeiten im Cockpit
Bleibt noch das Cockpit, das nun einen verdächtig glatt, groß und modern aussehenden Sieben-Zoll-Bildschirm beherbergt. Jawohl, Porsche hat das überalterte PCM-Infotainment entsorgt und es durch ein neues System ersetzt, das alle feinen Technik-Gimmicks drauf hat, die der VW-Konzern derzeit zu bieten hat. Inklusive Wlan, Apple CarPlay, Echtzeit-Navigation und Google-Maps-Karten. Sie bedienen es wie Ihr Smartphone, die Zielsuche ist so einfach und schlau wie eine Google-Suchanfrage und insgesamt macht es einen ganz hervorragenden Eindruck.

Teuer auf den ersten Blick
Den Turbo-Facelift-Zuschlag lässt sich Porsche übrigens durch die Bank mit um die 6.000 Euro Aufschlag im Vergleich zum Vorfacelift vergüten. Allerdings sind das hervorragende Infotainmentsystem und das PASM-Fahrwerk nun serienmäßig dabei. Der 911 Carrera startet künftig bei 96.605 Euro, der 911 Carrera S bei 110.766 Euro. Die Cabrios sind jeweils knapp 13.000 Euro teurer.

Mal wieder gezaubert
Letztlich dürften sich große Teile der Elfer-Turbo-Panik doch recht schnell in Luft auflösen. Nach der ersten Mitfahrt lässt sich die vage Prognose abgeben: Der Verzicht dürfte sich in Grenzen halten, der Verbrauch könnte sich aber durch das höhere, frühere Drehmoment gerade bei den meisten Alltagsfahrten tatsächlich signifikant verringern. Es wird häufig vergessen, dass Porsche eine über 40-jährige Turbo-Tradition hat und der 911 Turbo im Laufe der Jahre zu einer weltweit verehrten Koryphäe geworden ist. Wenn irgendjemand einen zwangsbeatmeten Sportwagen für echte Enthusiasten bauen kann, dann ja wohl die Herren aus Zuffenhausen. Ab 12. Dezember 2015 ist es soweit.
(sw)

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