Haar, 20. Oktober 2015
Wir erinnern uns an Auto-Startvorgänge aus längst vergangenen Zeiten mit all ihren Eigenheiten: Man stieg ein, zog den Choke, drückte ein paar Mal auf das Gaspedal – um den Vergaser auch ja gründlich mit verbleitem Sprit zu fluten – dreht anschließend den Schlüssel um und entfachte damit ein Ventile-klackendes und turbofreies Hubraum-Akustik-Feuerwerk im ungedämmten Motorraum. Warum ich ins letzte Jahrhundert aushole, obwohl es hier um die neue automobile Technik-Quintessenz von Volvo gehen soll? Nun ja, weil sich der brandneue XC90 trotz seines umfangreichen und wunderbar neuen Hightech-Schnick-Schnacks zumindest eine dieser “Qualitäten” bewahrt hat.
Geschichte und Wachstum
Stolze zwölf Jahre hat der Vorgänger auf dem Markt durchgehalten (von 2002 bis 2014) ehe er jetzt durch die zweite Generation ersetzt wurde. 4,95 Meter Länge, 1,78 Meter Höhe, 1,96 Meter Breite (mit Außenspiegeln sind es sogar 2,14 Meter) und ein Radstand von knapp drei Meter lassen den neuen Full-Size-Schweden Abmessungs-formal wieder als Audi-Q7-, BMW-X5- oder Mercedes-GLE-Gegner durchgehen. Die Stadt und der XC90 werden so aber wohl nie Freunde. Auf der Autobahn fühlt man sich hingegen genauso chefmäßig wie in einem der Rivalen.
Business-Klasse auf Audi-Niveau
Steigen wir aber erst einmal ein: Das neue Businessclass-Cockpit ist wunderbar aufgeräumt und das Tablet in der Mittelkonsole visualisiert alle nötigen (und unnötigen) Informationen in guter Qualität auf einem neun Zoll großen Bildschirm. Wir machen es uns auf den elektrisch verstellbaren, beheizten und belüfteten Ledersitzen der ersten Reihe gemütlich. Volvo baut schon seit Ewigkeiten fantastische Langstrecken-Sitze. Im XC90 ist das nicht anders. Insgesamt könnten bis zu sieben Personen Platz nehmen. Die dritte Reihe ist optional, kostet 1.500 Euro Aufpreis und ist sogar für ausgewachsene Menschen annehmbar. Zurück ins Cockpit: Die Materialanmutung und die Verarbeitungsqualität sind schwedisches Premium und stehen der hochpreisigen SUV-Konkurrenz aus Deutschland in nichts nach. Nichts klappert, wackelt oder ist scharfkantig. Es ist fast ein bisschen kühl und technokratisch geworden. Wenn Sie so wollen hat der XC90-Innenraum Audi-Qualitäten (auch wegen der 12,3 Zoll großen Digitalinstrumente hinterm Lenkrad).
Ein Vierzylinder-Benziner in einem so großen Auto?
Man könnte dem XC90 alleine wegen der Fahrzeugbreite eine gewisse Überlegenheit gegenüber der Konkurrenz zusprechen – wäre da nicht das arg beschnittene Antriebsportfolio: Wir sind mit dem 320 PS starken Zweiliter-Turbobenziner unterwegs (6,5 Sekunden von null auf 100 und 230 km/h Spitze). Ein aufgeladener Vierzylinder in einem rund 2,1 Tonnen schweren Auto? Ja, dem Wagen mit der Bezeichnung T6 fehlt – zumindest akustisch – fast immer die Puste. In Verbindung mit der fantastischen Achtgang-Automatik, die ähnlich perfekt (von Wandler-sanft bis DSG-zackig) wie die Box von BMW-Fahrzeugen schaltet, und dem Allradantrieb lässt sich fahrdynamisch nicht die Elchsalami vom Knäckebrot ziehen. Selbst ein Mercedes GLE wirkt zwar agiler und weniger schwerfällig, trotzdem bleiben allzu große Enttäuschungen aus.
Motor-Alternativen?
Etwas befriedigender dürfte es im D5 zugehen. Der ebenfalls zwei Liter große Vierzylinder läuft mit Diesel, hat zwar eine geringe PS-Leistung aber dafür mehr Drehmoment (470 Newtonmeter). Darüber hinaus ist er günstiger in der Anschaffung und braucht weniger Sprit. Für die Personen unter Ihnen, die auch beim Antrieb noch Geld für den letzten Technik-Schrei übrig haben, ist der XC90 T8 die beste Wahl. Hier wird dem 320-PS-Benziner ein Elektromotor zur Seite gestellt, der die Systemleistung auf 407 PS anhebt. Der Verbrauch? 2,1 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Glauben sie nicht? Wir auch nicht.
Gibts denn andere Qualitäten?
Auch wenn der Top-Benziner etwas enttäuscht, der Plug-in-Hybrid ein utopisches Nischenprodukt bleibt und der Diesel auch nur eine mittelmäßige Kompromisslösung ist – der XC90 hat andere Qualitäten: Zum Beispiel sieht er viel besser aus als die gesamte Konkurrenz (Achtung: Subjektivität!). Außerdem ist er randvoll mit Assistenzsystemen, die im Paket einen Aufpreis von 1.650 Euro bedeuten. Der Wagen misst Abstände zwischen Fahrzeugen, regelt die Geschwindigkeit, lotst uns autonom durch den Stau, hält die Spur mit sanftem Gegenlenken und warnt vor allem, was wir im hektischen Alltagsverkehr übersehen könnten. Im Gegensatz zu anderen Systemen in vergleichbaren Autos macht das der XC90 alles sehr unterschwellig. Er erzieht uns unterbewusst zu besseren Autofahrern. Wenn alte Volvos nur passiv sicher waren, dann trumpft die neue Generation aus Schweden mit aktiver Sicherheit.
Ein kleiner Dämpfer und der Preis
Der Dämpfer und die Reminiszenz an vergangene Autotage? Bei all dem Technikgedöns fordert der hochkomplexe Großrechner auf Rädern bei unserem Test außerplanmäßige Bremspedal-Pumper, bevor sich der Motor über den extravagantesten Drehknopf der SUV-Oberklasse starten ließ. Der gewisse Druck im Bremssystem fehlte. Man arbeitet dran. Der zweite Dämpfer ist der Preis: Unser Testwagen trägt die genaue Bezeichnung “Volvo XC90 T6 AWD Inscription”. In roten Zahlen auf dem Konto liest sich das wie folgt: 68.830 Euro. Mit der Zusatzausstattung (Business-Pro-Paket, Winter-Paket, adaptives Luftfahrwerk, Designpaket, Metallic-Lackierung, 21-Zoll-Leichtmetallfelgen etc.) kommt unser Modell auf 99.968 Euro. Ob Sie wirklich 100.000 Euro für einen schwedischen Premium-Wagen ausgeben wollen? Das bleibt Ihnen überlassen. Die Premium-Konkurrenz aus Deutschland liegt preislich auf Augenhöhe.
(ml)
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