Lommel (Belgien), 30. Oktober 2015
Das wohl Wichtigste am neuen Ford Focus RS bringt Tyrone Johnson, der technischen Leiter des RS-Projekts, ungewöhnlich ehrlich auf den Punkt: “Wir haben uns Haldex-Allradsysteme, wie sie die Konkurrenz benutzt (vornehmlich Audi RS 3, VW Golf R und Mercedes-AMG A 45; Anm. der Redaktion), angeschaut und das Ganze relativ schnell verworfen. Ich finde sie langweilig.” Rumms. Und schon wissen Sie, wo die Reise bei Fords heißestem Kompakten hingeht. Wir durften zwar noch nicht selbst fahren (Infos vom Lenkrad gibt es erst Ende Januar 2016), aber auch vom Beifahrersitz aus war schnell festzustellen: Frontlastiger, restriktiver, etwas plumper Kompaktsport ist das, was es hier definitiv nicht gibt. Mit anderen Worten: Das, was alle Fahrspaß-Junkies wollen, ist hier zuhauf vorhanden. Mit noch anderen Worten: Der neue Ford Focus RS driftet, dass selbst eingefleischte AMG-Jünger ehrfurchtsvoll den Hut ziehen sollten. Was ein gewisser Herr Block in diversen Teaser-Videos an Rauch und obszönen Winkeln produziert hat, ist also kein Marketing-Fake. Es passiert wirklich.
Neuer Super-Allrad
Hauptverantwortlich für diese erquickliche Nachricht ist das komplett neue Allradsystem, das Ford erstmals und exklusiv im Focus RS einsetzt. Ein ähnliches System gibt es laut Johnson im Range Rover Evoque. Allerdings sei es bei ersten Tests ständig abgeraucht, weswegen man schnell ein eigenes entwickelte. Bis zu 70 Prozent der Kraft gelangen dabei an die Hinterräder. Da es vorne keine Sperre gibt, dreht sich die Antriebswelle immer voll mit, was ziemlich gut für die Reaktionszeiten des Systems ist. An der Hinterachse sitzt – eingespannt in einen Hilfsrahmen vom Ford Kuga (nicht fürchten, er ist stark modifiziert) – die sogenannte “Rear Drive Unit” (RDU) des Herstellers GNK. Sie arbeitet mit zwei Kupplungen (eine links, eine rechts), welche die maximal 70 Prozent Drehmoment, die hinten ankommen, zu jeweils 100 Prozent auf eines der beiden Hinterräder übertragen können. Torque-Vectoring 2.0, wenn Sie so wollen. Diese Lösung ist wesentlich teurer als ein System mit Haldex-Lamellenkupplung, die Vorteile liegen aber klar auf der Hand: Hier wird deutlich mehr geschoben als gezogen. Sie kriegen also den Allrad-Traktionsbonus, ödes Untersteuern wird aber durch eine sehr launige, hecklastige Auslegung ersetzt.
Fahrverhalten? Einfach grandios
Selbst im Normalmodus (insgesamt hat der RS vier Modi) merkt man schon ganz gut, wie das Heck in der Kurve mithilft, die Linie zu schärfen. Aber keine Sorge, der Focus RS wirkt in keinster Weise wie ein traktionsloses, zügellos auskeilendes Ekel. Viel mehr wie ein Auto, das sich seriös in die Kurve legt und selbige mit sehr viel Grip und Vorwärtsdrang wieder verlässt. Dass das Chassis gegenüber dem Focus ST nochmal deutlich versteift wurde, ist definitiv spürbar. Der Sportmodus würzt Lenkung, Gasannahme, Klang und Konsorten ein wenig in Richtung “deftig”, richtig speziell wird es aber erst im Fahrprogramm “Track”, das die adaptiven Dämpfer (ja, der RS hat adaptive Dämpfer) um wenig kompromissbereite 40 Prozent strafft und dem ESP einen Schuss Rum in den Kaffee kippt. In “Normal” und “Sport” federt der neue Focus RS absolut ordentlich (obwohl die Federn über 30 Prozent straffer sind als beim ST, wirkt er nicht so bockelig wie sein kleiner Bruder), in “Track” wird es allerdings schon recht kernig. Johnson gibt zu, dass einige Kunden den Harte-Kerle-Modus womöglich zu anstrengend finden werden, aber er sei wirklich eher für topfebene Rennstrecken gemacht worden. Das Gute ist: Die Dämpfer-Settings sind unabhängig vom Rest mit einem Knopf im Blinkerhebel einstellbar. Sprich: Voller Alarm bei Motor, Lenkung und Co. geht auch ohne Gefahr für die dritten Zähne. Gut mitgedacht, Ford.
So quer wie nie
Ach ja, das vierte Fahrprogramm ist der ominöse Driftmode. Als Social-Media-Renner und Traum aller Nachwuchs-Gymkhana-Stars hat er ja schon im Vorfeld reichlich Staub aufgewirbelt. Hier geht alles, was technisch irgendwie möglich ist, an die Hinterachse. Eingezwängt in einen Recaro-Beifahrer-Schalensitz lässt sich nur sagen: Die beiden Kupplungen verrichten Schwerstarbeit und der Focus RS erreicht Ausprägungen der Querheit, wie ich sie bei einem Allradfahrzeug nicht für möglich gehalten hätte. Und wir reden hier nicht über einen kleinen Heckschwenk am Kurvenausgang, dieses Auto zieht hanebüchene Driftwinkel wie ein 500-PS-Hecktriebler auf viel zu schmalen Hinterreifen. Auch ohne selbst gefahren zu sein (und Gott weiß, es war schwer hier nur daneben zu sitzen), wage ich zu behaupten: Im reinen Spaß-Vergleich dürften Audi RS 3 und Mercedes A 45 aussehen, wie ein Kreisverwaltungsreferat neben einem Stripclub. Sie wissen schon: Etwas zu ernst und deutlich unbeweglicher.
Mustang-Motor komplett überarbeitet
Bevor ich es vor lauter Übersteuer-Überschwang noch vergesse. Natürlich hat der neue Focus RS auch einen Motor. Es handelt sich hierbei um den 2,3-Liter-EcoBoost-Vierzylinder aus dem Ford Mustang. Allerdings hat man ihn für den RS auf Hochglanz poliert. Der neue Aluminium-Zylinderkopf ist das Werk von Cosworth. Dazu sind beinahe 90 Prozent des Turboladers neu, es gibt neue Laufbuchsen, einen größeren Ladeluftkühler, ein optimiertes Einlasssystem und eine komplett neue Klappenabgasanlage, die einen größeren Rohrdurchmesser für sich verbuchen kann und komplett ohne Mittelschalldämpfer auskommt. Das Ergebnis sind 350 PS und 440 Newtonmeter (im Overboost sind es für etwa 15 Sekunden bis zu 470 Newtonmeter), die den gut 1.530 Kilo schweren Focus RS bis zu 266 km/h schnell machen und ihn in 4,7 Sekunden auf 100 km/h befördern.
Irgendwann mit Doppelkupplung?
Letzterer Wert geht zu Teilen auf das Konto einer Launch Control, die den Focus RS mit bemerkenswerter Vehemenz nach vorne drückt. Entwicklungschef Johnson sagt mir, mit einem Doppelkupplungsgetriebe wären wohl auch 4,4 Sekunden möglich gewesen, aber man habe sich aus verschiedenen Gründen dagegen entschieden. Abgeneigt sei man der Doppelkupplung grundsätzlich allerdings nicht. Mal sehen, ob da noch was kommt.
Der Alte klang besser
Der Motor selbst quetscht seine Leistung extrem gleichmäßig über das komplette Drehzahlband nach draußen. So gleichmäßig, dass ihm die aufregenden Spitzen ein bisschen abzugehen scheinen. Er wirkt unbestritten potent und sehr schnell, an den völlig abstrusen Punch von RS 3 und A 45 kommt er aber nicht heran. Ähnliches gilt für den vieldiskutierten Sound, der zwar durchaus anhörbar ist und ab dem Sport-Modus auch ordentlich brabbelt, knallt und schießt, aber im Vergleich zum legendären Fünfzylinder im Vorgänger oder den irren Tröten der Konkurrenz aus Stuttgart und Ingolstadt fehlt es dann doch ein wenig an akustischer Aura.
Lenkung arbeitet linear
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Dingen verlieren, die man als Copilot nicht so wirklich fühlen kann. Das erste ist die Lenkung, die anders als im variabel lenkenden Focus ST linear arbeitet und wohl ein gutes Eck direkter abgestimmt wurde (die RS-Nase fühlte sich zumindest “von nebenan” reichlich direkt und gierig an). Das andere sind die Bremsen, die mit Brembo-Festsätteln und 350-Millimeter-Scheiben punkten. Ford hat hart an der Kühlung gearbeitet und verspricht “mindestens 30 Minuten harten Rennstreckeneinsatz am Stück”. Wenn Sie sehr gut sind, dürfte das also für etwa 3,8 Runden Nordschleife reichen.
Das Schnäppchen
In diesem Falle dürfte sich dann auch der Aufpreis für die deutlich grippigeren Michelin-Pilot-Sport-Cup2-Reifen, die um ein Kilo leichteren Schmiedefelgen sowie die hervorragenden Recaro-Schalensitze rechnen. Und so viel ist gewiss: Selbst wenn Sie all diese Häkchen in der Aufpreisliste machen, bleibt der neue Ford Focus RS ein absoluter Schnapper. Für 39.000 Euro dürfte es kaum etwas Vergleichbares geben. Er sieht gut aus, er ist schnell, er driftet und er ist bezahlbar. Klingt nach einer ziemlich aufregenden Kombination. Jetzt müsste man ihn nur noch fahren dürfen. Das könnten sehr lange drei Monate werden.
(sw)
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