Palm Springs (Kalifornien/USA), 8. November 2013
Speziell für die Berge haben die Entwickler im englischen Gaydon dieses Auto bestimmt nicht konstruiert. Es ist ein Cabrio. Fast zwei Tonnen schwer. Und mit einem bärenstarken V12 bestückt, der zunächst eher an Rennstrecken als an Serpentinenstraßen denken lässt. Und doch kann ich im neuen Aston Martin Vanquish Volante nicht genug kriegen von der kargen Berglandschaft Kaliforniens. Die ist äußerst reizvoll anzuschauen, aber das interessiert mich gerade herzlich wenig. Und dafür gibt’s einen triftigen Grund: Das felsige Gestein reflektiert die Schallwellen, erzeugt also quasi ein Echo, und verstärkt dadurch das Gebrüll, das den beiden dicken Endrohren entweicht, beinahe ins Unermessliche. Umweltfreunde und Tierschützer mögen mich verdammen, dass ich davon nicht genug kriegen kann. Aber es gehört nun einmal zu meinem Job, die Fähigkeiten eines Autos zu testen – manchmal bis an die Schmerzgrenze.
Schöner Name, schöne Erscheinung
Vanquish Volante, was war das nochmal? Es gibt größere Bildungslücken, als mit der aktuellen Produktpalette von Aston Martin nicht bis ins letzte Detail vertraut zu sein. Kurze Aufklärung: Der Vanquish ist das Topmodell der englischen Sportwagenmarke, 2012 löste er den DBS ab. Ein Jahr später folgt jetzt auf das Coupé die Cabrioversion, die den wunderschönen Namenszusatz “Volante” trägt. Dieser aus dem Italienischen stammende Begriff ist nicht nur bedeutend wohlklingender als “Cabrio”, “Roadster” oder “Convertible”, sondern liefert mit den Übersetzungsmöglichkeiten “schnell” und “fliegend” auch passende Assoziationen zu diesem sportlichen Frischlüfter. Dem Vanquish gelingt das Kunststück auszusehen, wie ein Aston Martin aussehen muss, und dennoch mehr Eigenständigkeit mitzubringen als all seine Geschwister. Vorne trägt er das typische Markengesicht mit breitem Kühlergrill und den charakteristischen, weit nach hinten gezogenen Scheinwerfern. Einzigartig in der Modellfamilie ist jedoch die Heckpartie der beiden Vanquish-Brüder – mit den sichelförmigen Leuchten, dem markanten Heckdiffusor und dem gekonnt in den Kofferraumdeckel integrierten Heckflügel. Die neue Cabrioversion gibt auch geschlossen eine gute Figur ab. Das Stoffverdeck, das sich in 14 Sekunden und bis zu einer Fahrgeschwindigkeit von 45 km/h vollautomatisch öffnen und schließen lässt, ist eng geschnitten und fügt sich perfekt in die Silhouette des derzeit wohl schönsten Aston Martin.
Hochdrehender V12-Sauger mit 573 PS
Den Antrieb des eleganten Engländers auf seinen betörenden Sound zu reduzieren, wäre sicherlich falsch. Noch falscher wäre es allerdings, diesen Aspekt unter den Tisch fallen zu lassen. Denn nicht nur in Gebirgsengen wird es laut. Bereits beim Anlassen heult der Motor kurz auf und offenbart einen kleinen Vorgeschmack auf das Klangpotenzial, das in ihm steckt. Dafür verantwortlich ist der erwähnte Zwölfzylinder. Obwohl der Hersteller für ihn schon seit Jahren sechs Liter Hubraum angibt, handelt es sich tatsächlich um eine 5,9-Liter-Maschine. Sie hat schon zahlreiche Jahre auf dem Buckel, kam mit weniger Leistung schon in der ersten Vanquish-Generation 2001 zum Einsatz. Doch altbacken wirkt der Saugmotor keineswegs. Er mag es hochtourig, entfaltet sein maximales Drehmoment von 620 Newtonmeter erst bei 5.500 und seine Höchstleistung von 573 PS sogar erst bei 6.750 Umdrehungen.
Vorne dabei, aber nicht Champions League
Solche Motordaten lassen an nur schwer zu bändigende Fahrleistungen denken. Und mit 295 km/h Spitze und 4,3 Sekunden von null auf Tempo 100 spielt der offene Vanquish tatsächlich weit vorn in der Sportwagenliga mit. Aber nicht in der Champions League. Der Audi R8 Spyder 5.2 FSI mit 525 PS (311 km/h Spitze und in 3,9 Sekunden auf 100) oder das neue Porsche 911 Turbo S Cabriolet mit 560 PS (bis zu 318 km/h schnell und sogar in 3,2 Sekunden auf Tempo 100) hängen den Aston locker ab. Untermotorisiert fühlt man sich im Vanquish Volante jedoch keineswegs, zumal er ein äußerst direktes Frischluft-Erlebnis bietet. Ein brachialer Bolide will der offene Brite aber nicht sein. Der Hersteller selbst klassifiziert ihn als “Super GT”, also als Gran Turismo. Spätestens, wenn man den mit dem gleichen Motor bestückten, deutlich raueren V12 Vantage S gefahren ist, muss man sagen: Aston Martin hat Recht. Der Vanquish ist im Vergleich dazu deutlich gediegener und komfortabler.
Komfortabel? Nicht wirklich
Doch einmal mehr zeigt sich, dass die Definition von Fahrkomfort sehr breit gefächert sein kann. Komfortabler zu sein als der Vantage heißt nämlich noch lange nicht, dass der Vanquish wirklich komfortabel wäre. Die Passagiere kriegen sehr deutlich zu spüren, wie gut oder schlecht der gerade befahrene Untergrund ist. Die Tatsache, dass der Fahrer aus drei unterschiedlichen Fahrwerkseinstellungen (Normal, Sport, Track) wählen kann, ist fast zu vernachlässigen. Die Unterschiede sind nur minimal.
Motor vorne, Getriebe hinten
Trotz Leichtbau-Komponenten – die Karosserie besteht zu großen Teilen aus Carbon – ist der Volante kein Federgewicht. Mit Fahrer bringt er 1.919 Kilogramm auf die Waage. Doch dieses Gewicht ist klug verteilt, lastet zu 51 auf der Hinter- und zu 49 Prozent auf der Vorderachse. So zirkelt der 4,73 Meter lange Wagen vergleichsweise leichtfüßig durch Kurven und sorgt nicht nur wegen seines Sounds in den Bergen für jede Menge Spaß. Die leicht hecklastige Gewichtsverteilung ist der im Hause Aston Martin traditionellen Transaxle-Bauweise zu verdanken. Das bedeutet Motor vorne, Getriebe hinten. Bei Letzterem handelt es sich um eine Sechsgang-Automatik, deren Gänge über große, feststehende Schaltwippen am Lenkrad auch manuell gewechselt werden können. An und für sich verrichtet sie ihre Arbeit tadellos. Doch einmal mehr zeigt sich, dass die neuen Achtgang-Wandler und die zackigen Doppelkupplungsgetriebe einen gewaltigen Entwicklungssprung voraus sind. Gebremst wird stets über eine fest zupackende Carbon-Keramik-Bremsanlage.
Auch innen richtig hübsch
Passend zum gelungenen Äußeren hat Aston Martin dem Vanquish Volante auch einen hübsch gestalteten Innenraum verpasst. Es gibt bequeme Sportsitze mit integrierten Kopfstützen. Sowohl das Gestühl als auch das Armaturenbrett und die Türverkleidungen sind komplett mit edlem Leder bezogen. Das hochwertige Cockpit strahlt sportlich-nüchterne Eleganz aus. Das gilt im Besonderen für die Mittelkonsole, die mit vergleichsweise wenigen Knöpfen auskommt. Viele Funktionen lassen sich über berührungsempfindliche Oberflächen steuern. Aston Martin bezeichnet den Vanquish Volante als 2+2-Sitzer. Ob das ein Exempel für den berühmten schwarzen Humor der Engländer sein soll? Realistisch betrachtet ist nicht daran zu denken, dass im Fond ein, geschweige denn zwei Personen Platz nehmen. Als großzügige Ablage kann die Rückbank aber gerne missbraucht werden. Denn – kein Witz – ein Handschuhfach existiert nicht. Nicht einmal ein kleines. Dafür fasst der Gepäckraum passable 279 Liter. Mindestens 264.995 Euro verlangt Aston Martin für den Vanquish Volante. Das ist viel Geld, selbst für ein Auto dieser Klasse. Spätestens in den Bergen ist das aber im Nu vergessen.
(mn)
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