Lommel (Belgien), 18. Januar 2016
Ich weiß nicht, ob Sie die diversen Teaser-Videos gesehen haben, die Ford von seinem neuen Focus RS über die letzten Monate ins Internet gestellt hat. Größtenteils finden Sie darin ein offensiv bespoilertes Kompaktauto, das absurdere Driftwinkel produziert als ein finnischer Rallyefahrer mit einem Wodka-Problem. Nun, da der Marktstart kurz bevorsteht, ließ man auch weniger talentierte Menschen (sprich: Journalisten) ans Steuer und das auf Fords großartiger, weil gegenverkehrfreier Test-Landstraße im belgischen Lommel.
Rot vor Scham
Ich habe den Wodka vorsichtshalber ausgelassen, das mit den absurden Driftwinkeln funktioniert dennoch ganz hervorragend. Meine ständigen “Hi hi his” und “Ho ho hos” klingen sicher fürchterlich dämlich, aber nicht zu grinsen, ist kaum möglich. Außerdem muss ich mich ständig kneifen, weil der RS Dinge anstellt, bei denen andere Kompaktsportler (auch die neuesten, stärksten, allradigsten) vor Scham rot anlaufen würden. Ich will also gar nicht lange um den heißen Brei herumreden (die Dramaturgie wird in Testberichten ohnehin völlig überschätzt): Dieses Auto macht mehr Spaß als jedes andere in der hart umkämpften Hot-Hatch-Klasse. Und wenn sie jetzt noch Lust haben, weiterzulesen, erkläre ich Ihnen auch, warum.
Torque-Vectoring 2.0
Sagen wir mal so: Auf einen eher frontlastigen Haldex-Allradantrieb, wie ihn die gesammelte Kompaktsport-Elite (Audi RS 3, Mercedes-AMG A 45, VW Golf R) verwendet, hatten die Ford-Entwickler – freundlich ausgedrückt – nicht ganz so viel Lust. Deswegen bauten sie – wie man das halt so macht – kurzerhand ihren eigenen. Dieser arbeitet mit zwei elektronisch gesteuerten Kupplungen an der Hinterachse, die sich sowohl um den Nord-Süd-Kraftfluss, als auch um den zwischen Ost und West kümmern. In Zahlen bedeutet das: Maximal 70 Prozent des Drehmoments wandern nach hinten. Das, was dort ankommt, kann zu jeweils 100 Prozent auf eines der beiden Hinterräder übertragen werden. Torque-Vectoring 2.0, wenn Sie so wollen.
Viel RS-Aufwand
Um den neuen RS auch sonst RS-würdig dastehen zu lassen, versteifte man den kompletten Unterbau, spendierte adaptive Dämpfer mit strafferen Federn (etwa 30 Prozent gegenüber dem Focus ST), Brembo-Bremsen mit 350er-Scheiben, 19-Zöller sowie eine direktere und – es geschehen noch Zeichen und Wunder – linear statt variabel arbeitende Lenkung. Auch das Zeitalter der unsäglichen Fahrmodi hat mittlerweile bei Ford Einzug gehalten. Beim RS gibt es vier an der Zahl. Darunter auch den ominösen Drift-Modus sowie eine reichlich ambitionierte Track-Einstellung, bei der sich die Dämpfer um Osteopathen-freundliche 40 Prozent straffen. Glücklicherweise sind die Dämpfer-Settings unabhängig vom Rest mit einem Knopf im Blinkerhebel einstellbar. Sprich: Voller Alarm bei Motor, Lenkung und Co. geht auch ohne sofortigen Exitus der Wirbelsäule. Rein äußerlich erkennt man den neuen RS an giftigeren Schürzen, einem adäquaten Heckdiffusor sowie dem liebgewonnenen Bar-Bereich oberhalb der Heckscheibe (auch bekannt als Dachspoiler). Innen gibt es Unmengen an blauer Ziernaht sowie gegen Aufpreis ganz vortreffliches Recaro-Schalengestühl.
Tschö Untersteuern
Wie gut all das im Zusammenspiel funktioniert, habe ich anfangs ja bereits “leicht” überschwänglich beschrieben. Schon im Normalmodus inklusive aller Fahrhilfen merkt man, dass Untersteuern heute leider draußen bleiben muss. Wie das Heck in der Kurve mithilft, die Linie zu schärfen, ist großartig. Aber keine Sorge, der Focus RS wirkt in keinster Weise wie ein wild rutschendes, zügellos auskeilendes Ekel. Viel mehr wie ein Auto, das sich seriös in die Kurve legt und selbige mit sehr viel Grip und Vorwärtsdrang wieder verlässt. Er hat halt, während er das tut, einfach deutlich mehr Spaß als der Rest der kompakten Allrad-Herde.
Echter als die anderen
Dass auch das Chassis gegenüber dem Focus ST versteift wurde, spürt man allein schon aufgrund des deutlich feinfühliger arbeitenden Fahrwerks. Der RS ist straff aber nicht hart. Und er lässt genügend Bewegung in der Karosse, um ihn a) herrlich herumwerfen zu können und um b) genau zu spüren, was währenddessen alles passiert. Der stärkste Focus ist wirklich unglaublich gut dosier- und kontrollierbar, wirkt echt und voller Gefühl. Zum Teil geht das auch auf die neue Lenkung, die sich extrem schnell und natürlicher anfühlt als im kleinen Bruder ST oder im Audi RS 3. Das allerletzte Quäntchen Gefühl (wie zum Beispiel beim Renault Mégane R.S.) rettet aber auch sie nicht von der Straße rüber.
Fliegen auch mit ESP
Auch nicht im Sport- oder Track-Modus, wo Lenkung, Gasannahme, Klang und Co. sukzessive in Richtung “deftig” getrimmt werden und der Beschützerinstinkt des ESP mehr und mehr abnimmt. Gerade in “Track” kann man den RS-Hintern schon recht passabel fliegen lassen, ohne gleich die blanke Angst zu kriegen vor Gräben, Bäumen oder was sich sonst noch so jenseits befestigter Straßen rumtreibt.
Drift-Modus zum Verlieben
Richtig glorreich wird es aber erst in “Drift”, dem wohl abgefahrensten Modus, den ein Serienauto jenseits von Tesla und seinem Insane-Mode je gesehen hat. Hier geht alles, was technisch irgendwie möglich ist, an die Hinterachse. Zudem entspannt sich die Lenkung und die Dämpfer werden weicher, damit man den wildgewordenen Hintern nach der Party leichter zurück auf den Pfad der Tugend bringt. Das Ergebnis: Der Focus RS erreicht Ausprägungen der Querheit, wie ich sie bei einem Allradfahrzeug nicht für möglich gehalten hätte. Das Irritierendste daran ist: Es funktioniert kinderleicht und völlig intuitiv. Mit etwas Nachdruck rein in die Kurve, voll auf den Pinsel und dann so lange mit dem Gas jonglieren, bis der Asphalt oder die Reifen ausgehen. Oder die beiden Kupplungen keine Lust mehr haben. Was passiert, wenn man circa eine Minute lang auf der Stelle Donuts dreht. Aber das nur nebenbei. Unzickiger und mitteilsamer kann ein Auto kaum seitwärts fahren. Und wir sprechen hier nicht von Maranello, sondern von Köln. Was auch immer Ford seiner Regelsoftware in den Tee getan hat, es ist verdammt guter Stoff. Im reinen Spaß-Vergleich dürften Audi RS 3 und Mercedes A 45 aussehen wie ein Kreisverwaltungsreferat neben einem Stripclub. Sie wissen schon: Etwas zu ernst und deutlich unbeweglicher.
In 4,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h
Bis hierhin klingt das alles verdächtig nach “Spaßauto des Jahres”, aber natürlich ist der Ford Focus RS 2016 nicht perfekt. Das Steinchen des Anstoßes (und mehr als ein Steinchen ist es wirklich nicht) ist der 2,3-Liter-EcoBoost-Vierzylinder, den man aus dem Ford Mustang herübergerettet hat. Eine mechanische Hochglanzpolitur – neuer Cosworth-Alu-Zylinderkopf, optimierter Turbolader, neue Laufbuchsen, größerer Ladeluftkühler, ein optimiertes Einlasssystem und eine komplett neue Klappenabgasanlage ohne Mittelschalldämpfer – verhilft ihm zu 350 PS und 440 Newtonmeter (im Overboost sind es für etwa 15 Sekunden bis zu 470 Newtonmeter). Im 1.530 Kilo schweren Focus RS reicht das für 266 km/h Höchstgeschwindigkeit und eine 0-100-km/h-Zeit von 4,7 Sekunden. Letzterer Wert geht zu Teilen auf das Konto einer Launch Control, die den Focus RS mit bemerkenswerter Vehemenz nach vorne drückt.
EcoBoost-Motor kein Charismatiker
An den nackten Zahlen liegt es also schon mal nicht, eher am Drumherum. Wieso? Weil der Motor seine Leistung so extrem gleichmäßig nach draußen quetscht, dass es fast schon wie Dienst nach Vorschrift wirkt. Ein sehr schneller Dienst wohlgemerkt, aber eben etwas uninspiriert. Fords Vierzylinder-Turbo ist unbestritten potent genug, an den völlig abstrusen Punch von RS 3 und A 45 kommt er aber nicht heran. An das Charisma des alten Fünfzylinders auch nicht. Ähnliches gilt für den vieldiskutierten Sound. Er ist weit weg von ernüchternd und ab dem Sport-Modus brabbelt, knallt und schießt es auch recht vergnüglich aus dem armdicken Endrohren. Aber im Vergleich zu den legendären fünf Töpfen im Vorgänger oder den irren Tröten der Konkurrenz aus Stuttgart und Ingolstadt fehlt es dann doch ein wenig an akustischer Aura.
Mehr Humor, weniger Scheine
Seis drum, denn auch so bietet der neue Focus RS mit seinem wunderbaren Schaltgetriebe und seiner launigen Fahrwerksauslegung mehr Involvierung als seine meist deutlich teureren Konkurrenten. Wenn Sie also gerne tanzen, nicht sooo viel Wert auf das edelste Interieur-Finish legen und sich ein paar (oder auch ein paar mehr) Tausender sparen wollen, dann wissen Sie, wo sie jetzt hingehen müssen. Der Focus RS startet bei exakt 40.000 Euro und die Aufpreisliste ist nicht sehr lang. Zum Vergleich: Der Audi RS 3 kostet mindestens 52.700 Euro, für einen Mercedes-AMG A 45 werden 51.051 Euro fällig und der VW Golf R liegt bestenfalls bei 39.000 Euro. Nur ein Tipp noch: Beeilen Sie sich, die 2016er-Produktion ist beinahe ausverkauft. Ich kann ziemlich gut verstehen, warum …
(sw)
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