Johannesburg (Südafrika), 22. Januar 2016
Wie Sie eventuell mitbekommen haben, erhielt der Porsche 911 Carrera jüngst ein Facelift. Es bescherte ihm einige kosmetische Änderungen wie neue Rückleuchten oder ein zeitgemäßes Infotainmentsystem und dann bescherte es ihm noch die wohl größte Änderung in seiner über 50-jährigen Geschichte. Die Rede ist von zwei Turboladern, die nun aus Gründen der Effizienz (und wohl auch der Dynamik) im Elfer-Heck werkeln und die Fangemeinde ordentlich spalten. Jetzt – ein paar Wochen später – bekommt auch der große, mächtige Bruder 911 Turbo seine Modellpflege. Schockierende Neuerungen am Antriebsstrang bleiben weitgehend aus, zwei Turbolader hatte der Turbo schließlich schon vorher, aber natürlich gibt es mehr (noch mehr) Leistung und ein ganzes Arsenal an Detailverbesserungen, die dieses fürchterlich schnelle, effiziente und alltagstaugliche Monstrum noch ein bisschen schneller, effizienter und alltagstauglicher machen sollen.
Tschüssle Nissan GT-R
Anfangen sollten wir bei dem, was den Turbo Turbo (das muss man ja neuerdings in Zeiten eines Carrera Turbo schon dazusagen) in erster Linie auszeichnet: Sein barbarischer 3,8-Liter-Boxer leistet jetzt dank geänderter Einlasskanäle, neuer Kraftstoff-Injektoren sowie einer optimierten Sauganlage jeweils 20 PS mehr, sprich: 540 PS im Turbo und 580 PS im Turbo S. Erstmals verfügt der S gegenüber dem Nicht-S außerdem über geänderte Lader mit größerem Verdichter. Freunde des Ampelsprints dürfen sich über noch hanebüchenere Beschleunigungswerte freuen. Der Turbo hakt die 0-100 km/h nun in glatten drei Sekunden ab, der Turbo S braucht offiziell 2,9 Sekunden. “Offiziell”, weil 911-Baureihenleiter August Achleitner diese Zahl als “eher konservativ” bezeichnet. Bei perfekten Bedingungen soll schon mal eine 2,6 auf der Uhr gestanden haben. From Zuffenhausen with Love, lieber Nissan GT-R. Nur der Vollständigkeit halber: Die Höchstgeschwindigkeiten steigen ebenfalls um ein paar km/h (320 beim Turbo, 330 beim Turbo S), die Verbräuche sinken um sechs Prozent auf 9,1 Liter.
Bitte nicht zusammenfallen
Die wohl bemerkenswerteste Motor-Neuerung ist allerdings die sogenannte “Dynamic Boost-Funktion”. Sie hält bei Lastwechseln den Ladedruck oben, in dem die Drosselklappe offen bleibt und man die Kraftstoffzufuhr kappt. So soll sich das Ansprechverhalten, zum Beispiel nach dem Anbremsen einer Kurve, signifikant verbessern. Ein weiterer Schritt zur Entturboisierung des Turbomotors.
Neue Spielzeuge
Damit Sie in zwei Stunden nicht immer noch in diesem Artikel festhängen, die weiteren Änderungen leicht gestrafft: Wie beim Carrera sollen neue Dämpfer für eine größere Spreizung zwischen “Rambazamba” und der morgendlichen Fahrt zum Bäcker sorgen. Das PDK-Getriebe ist jetzt quasi auf GT3-RS-Niveau, weil man künftig zum Hochschalten ganz Motorsport-like am Hebel zieht, statt drückt. Außerdem hat man ein kleineres Lenkrad aus dem 918 Hybrid gestohlen, das neuerdings einen Drehschalter beherbergt, der sich wiederum um den Wechsel der vier Fahrmodi Normal, Sport, Sport Plus und Individual kümmert. In der Mitte dieses Drehschalters befindet sich ein Knopf namens Sport Response Button, der einem den ganzen Antrieb für 20 Sekunden auf maximale Angriffslust vorspannt. Für souveränere Überholmanöver, sagt Porsche. Ein Überhol-Assistent in einem 580-PS-Auto – ich hoffe, Sie mussten auch kurz schmunzeln.
Gefühlt noch breiter
Weitere Facelift-Gimmicks sind eine Lift-Funktion für die Vorderachse, ein Spurwechsel-Assistent und natürlich das neue und um Welten bessere Infotaimentsystem, das den Eindruck macht, Porsche hätte ein sehr großes und leistungsfähgies Smartphone in die Mittelkonsole gedrückt. Von außen erkennen Sie den Facelift-Turbo schließlich an neugeformten Lufteinlässen vorne und hinten, neuen dreidimensionalen Rückleuchten und einer kantigeren Heckschürze. Außerdem erbt er – oh Schreck – die Längslamellen am Heckdeckelgitter. All das soll die Breite des Turbos noch mehr hervorheben. Er sieht also aus wie die Türsteher-Version des gerade gelifteten Carrera (wie bisher ist er generöse 78 Millimeter breiter als der Standard-Elfer).
Traumdebüt in Südafrika
Um die Auswirkungen der Modellpflegemaßnahmen am eigenen Leib verspüren zu können, lud Porsche ganz bescheiden auf die frisch restaurierte, ehemalige Formel-1-Strecke Kyalami im südafrikanischen Johannesburg. Eins vorneweg: Der Kurs geht rauf und runter, fließt wie aus einem Guss und ist ganz generell der absolute Wahnsinn. Viel mehr als eine Runde braucht es auch nicht, um die typischen Porsche-Modellwechsel-Vorgaben (schneller und besser) bestätigen zu können.
Der Schnellste von A nach B
Dass man ein extrem gut geeichtes Popometer haben sollte, um die 20 Mehr-PS zu spüren, dürfte klar sein, vor allem, weil man sich bei der Allgewalt dieses Beschleunigungs-Vorschlaghammers hinten und vorne nicht mehr auskennt. Mehr denn je ist dieses Auto ein fürchterlich unbarmherziges Katapult. Das Wort Traktionsprobleme kommt im Turbo-Duden nicht vor. Wahrscheinlich würde er auch auf Sand keine drei Sekunden für den 100er-Sprint benötigen. Und all das bei gewohnt verblüffender Alltagstauglichkeit: Vernünftiger Federungskomfort, Platz für die Kids, keine pubertäre Kriegsbemalung, Sie wissen schon. Ich kenne kein Auto (zumindest keins, dass man einfach so kaufen kann), mit dem man schneller von A nach B kommt. Und das so unglaublich entspannt und mühelos, dass es fast schon unheimlich wirkt. Die Zahlen, die der Tacho im Durchschnitt so anzeigt, sind es auf alle Fälle.
Grenzbereich fast schon zu hoch
So ein bisschen das Problem beim 911 Turbo war – und ist es immer noch –, dass er fast zu perfekt ist. Jeder soll alles mit ihm machen können. Er nimmt einem die komplette Arbeit ab. Egal wie und wo. Und das ist zu manchen Gelegenheiten einfach nicht so aufregend, wie man es sich von einem fast 600 PS starken Sportwagen erhoffen würde. Das optimierte Allradsystem, das jetzt noch schneller reagiert, die Hinterradlenkung (lenkt unter 30 km/h entgegengesetzt zu den Vorderrädern, um die Agilität zu erhöhen; über 80 km/h lenkt sie in die gleiche Richtung, um mehr Stabilität in schnellen Kurven zu gewährleisten) oder der Wankausgleich PDCC verschieben den Grenzbereich des Turbos sicher nochmal nach oben. Blöd nur, dass es kaum noch möglich ist, diesen Bereich zu erklimmen. Auf öffentlichen Straßen schon gleich gar nicht und selbst auf der Rennstrecke nur mit allergrößter Mühe. Meist geht es mit etwas Untersteuern in die Kurve hinein, anschließend bombt einen der Turbo schnurgerade wieder hinaus.
Nicht sehr verspielt
Selbst mit dem neuen ESP-Sport-Modus, der die Regelsysteme etwas lockert (ganz aus geht natürlich nach wie vor) passiert im Heckbereich nicht allzu viel. Nur wenn man mit ordentlich Geschwindigkeitsüberschuss recht heftig in die Kurve hineinbremst, bringt man den Hintern ein wenig zum Tanzen. Für einen anständigen Drift muss man Tempi fahren, die mit einem gesunden Hirn nicht wirklich vereinbar sind.
Gesamtpaket nicht zu schlagen
Turbo und Turbo S sind eben lieber effizient als verspielt. Am irrsinnigen Gesamtpaket ändert das wenig. Wenn Sie unerreicht bequem die Zeit krümmen wollen, gibt es nach wie vor nichts Besseres. Schon gar nicht mit mehr als zwei Sitzplätzen. Mit den kleinen Verfeinerungen des Facelift-Modells gilt das mehr denn je. Der Turbo startet zu Preisen ab 174.669 Euro, der Turbo S kostet nun mindestens 202.872 Euro. Die Cabrio-Varianten sind etwa 13.000 Euro teurer. Marktstart ist Ende Januar 2016.
(sw)
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