Balocco (Italien), 14. November 2013
“Porca miseria”, schimpft Michele. Verflixt noch mal, er schafft es einfach nicht, sich den Gurt umzulegen. Kein Wunder, sein alter Abarth 595 zählt nicht zu den geräumigsten Fahrzeugen. Was soll man auch erwarten, wenn die Basis ein 2,97 Meter kurzer Fiat 500 ist? Das bekomme ich schmerzhaft zu spüren, nachdem ich mich in das winzige Autochen gequetscht habe. Während Michele mittlerweile die Tür geöffnet hat, um sich anschnallen zu können, komme ich mir auf dem Beifahrersitz vor wie beim Kamasutra ohne Partner.
Schlankheits-Gebot
So ganz kann Fiat bei der Entwicklung des “Nuova 500″, der 1957 herauskam, nicht an 1,88 Meter lange Herren wie mich gedacht haben. Und Carlo Abarth, Namensgeber der von ihm verantworteten Sportversion, erst recht nicht. Dem linken Bein steht die Mittelkonsole mit Zusatzinstrumenten im Weg, dem rechten der Radkasten. Und als Krönung kuschelt sich die Fensterkurbel an den Unterschenkel. Dann zieht Michele den Anlasserhebel und das Inferno beginnt. Unüberhörbar melden sich die namensgebenden 595 Kubik aus zwei Zylindern zu Wort. Geradezu meisterhaft schwingt mein Pilot den Schalthebel, um die Fuhre bei Laune zu halten. Prinzipiell treffen 27 PS auf 470 Kilogramm Leergewicht. Doch nun sitzen wir beide hier drin und ich habe statt Diät ein üppiges Mittagsessen eingelegt. Porca miseria!
Fetter Klang
Immerhin: Große Gefahr, die Mahlzeit wieder nach draußen zu entlassen, besteht nicht. Trotz flotter Gangart tut sich der alte Abarth 595 schon mit der 100-km/h-Marke schwer. Macht auch nichts, denn spätestens jetzt ist die Geräuschkulisse im Heck irgendwo zwischen Abfangjäger und Presslufthammer. Dennoch huscht Michele flott um die Kurven und ich rutsche hilflos auf meinem Kunstleder-Stühlchen herum. Nicht ohne breit zu grinsen und dem Bonsai-Bändiger neben mir ein geradebrechtes “Der klingt ja wie ein Großer” zuzubrüllen.
Der Mega-500
Plötzlich schießt ein gigantischer Kugelblitz an uns vorbei. Zumindest denke ich das im ersten Moment. Dabei ist es nur der neue Abarth 595 50° Anniversario. Bitte was? Noch einmal zum nachsprechen: Abarth Cinquanta-Novanta-Cinque Cinquantesimo Anniversario. Oder um es abzukürzen, das 595-Sondermodell auf Basis des aktuellen Fiat 500 zum Fuffzigsten. Bislang gibt es den Abarth 595 mit 160 PS als komfortable “Turismo”-Version oder als sportlichen “Competizione”. Der Jubiläums-595 legt nochmal einen drauf: 180 PS, 6,9 Sekunden auf 100 und 225 km/h Spitze. Kein Fiat 500 ist ab Werk schneller.
Carlos Weg
Im Jahr 2007 hatte Fiat die Marke Abarth wieder eigenständig lanciert, nachdem das Skorpion-Logo bis dahin für aufgemöbelte Bravo und Ähnliches herhalten musste. Skorpion übrigens deshalb, weil Firmengründer Carlo Abarth anno 1908 in diesem Sternzeichen zur Welt kam. Zunächst lebte er noch mit dem Vornamen Karl in Wien, doch seine väterliche Familie stammte aus dem italienischen Meran. Nach Erfolgen als Motorradmechaniker und -pilot siedelte Abarth nach der deutschen Besetzung Österreichs 1938 nach Italien über und nannte sich Carlo. 1947 begann er bei Cisitalia als Chef der Motorsportabteilung. Trotz Unterstützung durch Porsche musste die Firma Konkurs anmelden. Zwei Jahre später gründete Carlo sein eigenes Unternehmen und machte sich nicht nur mit kleinen Rennwagen einen Namen. Er entwickelte Sportabgasanlagen für den Fiat Topolino und fast alles andere, was in Italien auf die Räder gestellt wurde, sogar die Vespa. Obwohl Abarths Produkte nicht billig sind, ist die Nachfrage hoch, denn die Anlagen bieten mehr Leistung und einen kernigen Sound. Nebenbei wurde Carlo so auch zu einem der ersten Tuner überhaupt. Oder um es mit seinen Worten zu sagen: “Leidenschaft für Autos ist eine Krankheit. Eine schöne Krankheit.”
Sucht-Zwerge
Die glänzendste Phase erreichte Abarth mit seinen Komplettumbauten von Simca- und Fiat-Modellen. Besonders populär waren die Ableger der volkstümlichen Modelle 500 und 600. Bereits 1958 hatte der 500 Abarth 26 PS unter der Haube, 1963 folgte dann der Abarth 595 mit gut hundert Kubikzentimeter mehr Hubraum, Solex-Doppelvergaser und 27 PS. Das reichte immerhin für 120 km/h. Klingt nicht nach viel, doch ganz normale 500er jener Zeit husteten damals mit 17,5 PS auf bestenfalls 95 km/h. Und es ging noch mehr im 595: Die “esseesse”-Version (SS für Supersport) bekam bis zu 40 PS, was für 144 Sachen reichte. Bis 1971 baute Abarth die Knall-Zwerge, dann ging seine Firma in den Besitz von Fiat über. Carlo selbst starb 1979.
Teure Torte
Vermutlich dürfte der PS-Papst seine Freude an der rasenden Geburtstagstorte haben, von der Fiat nur 299 Exemplare anbietet, davon wohl nur 30 für Deutschland. Dumpf bollernd nimmt der 1,4-Liter-Turbo seine Arbeit auf, am Heck protzen vier Endrohre. Innen gibt es viel Leder und die italienischen Farben am Sportlenkrad. Das möchte man auch erwarten, denn der Jubiläums-595 kostet stolze 34.595,50 Euro. (Na, haben Sie den Gag erkannt?) Im Gegenzug gibt es bretthartes Fahrwerk, zu dem Carlo wohl sagen würde: Ist halt so, komfortabel war es früher auch nicht. Beim automatisierten Schaltgetriebe hingegen fiele ihm nur ein Kopfschütteln ein. Oder eher ein Nicken, denn selbst wenn die 180 PS in den Hintern treten, sind die Schaltpausen enorm. Da können auch die Wippen am Lenkrad nichts retten.
Weniger ist mehr
Deshalb ein Tipp unter uns Pastorentöchtern: Falls Sie nicht gerade extremer Abarth-Sammler sind, reicht der 595 Turismo vollkommen aus. Er ist nicht nur deutlich preiswerter als das Jubiläumsmodell, sondern mit klassischer Handschaltung auch harmonischer. Großzügiger sind sie beide geschnitten, obwohl von Carlo Abarth eine clevere Idee überliefert ist, um in die winzigen Italo-Raketen aus seiner Firma hineinzupassen. Mittels einer Apfel-Diät nahm er 1956 fast 30 Kilogramm ab. Das liefert uns das richtige Motto zum 595-Jubiläum: La mela non cade lontano dall’albero – Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
(rh)
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