Lissabon (Portugal), 6. April 2016
Derzeit gibt es wohl durchaus schönere Jobs, als Motorenentwickler bei Porsche zu sein. Da konstruiert man sich einen Wolf und wirft mit technischen Kabinettstücken nur so um sich, damit man die eigenen Sportwagen emissions- und akzeptanztechnisch fit für die Zukunft macht, und dann hauen einem allerlei Journalisten, Enthusiasten und anderweitige Experten das Ergebnis um die Ohren, dass es nur so raucht. Bevor sie angeprangertes Ergebnis auch nur einen Meter bewegt haben, versteht sich. Ganz besonders arg und dramatisch hat sich die allgemeine (Internet-) Diskussion beim neuen Porsche 718 Boxster entwickelt. Downsizing und Turboaufladung mögen sogar in Zuffenhausen mittlerweile ein alter Hut sein, aber der Verzicht auf zwei der geliebten sechs Zylinder – da hört der Spaß endgültig auf.
Die Stunde der Wahrheit
Natürlich hat man bei Porsche PR-mäßig alle Register gezogen: Der Le-Mans-Sieg 2015 wurde schließlich mit einem Vierzylinder eingefahren. Ach ja, und sollten Sie es noch nicht bemerkt haben: Der Boxster heißt jetzt 718 Boxster, wie der kleine Rennwagen, der in den 50er-/60er-Jahren mit einem – ja, richtig – Vierzylinder der weitaus stärkeren Konkurrenz das Leben zur Hölle machte. Die Zweifel bleiben natürlich trotzdem: Fährt das denn noch wie ein gescheiter Porsche? Und klingt das dann mit vier Töpfen nicht fürchterlich albern? Nun, die Stunde der Wahrheit ist da. Wir haben den neuen Boxster eineinhalb Tage gefahren. Und ich kann Sie beruhigen. Zumindest in weiten Teilen …
Sehr viel mehr
Um zu verstehen, vor was genau ich ihnen den Schrecken überhaupt nehmen muss, schauen wir uns die neuen Motoren im 718 Boxster aber erstmal ein wenig an: Im Boxster tut es nun ein 2,0-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 300 PS und 380 Newtonmeter, im Boxster S gibt es 2,5 Liter, 350 PS und 420 Newtonmeter. Das sind jeweils 35 PS und 100 beziehungsweise 60 Newtonmeter mehr als bisher. Anders als im neuen Sechszylinder des 911 Carrera (mit dem sich die Vierzylinder etwa 65 Prozent ihrer Zusammensetzung teilen) muss es beim 718 Boxster ein Turbolader alleine richten. Dieser bedient sich im stärkeren Boxster S der vom 911 Turbo entliehenen VTG-Technik. Die variable Turbinengeometrie sorgt dafür, dass der Lader untenrum besser anspricht, ohne dass ihm nach oben hin die Puste ausgeht. Die andere Spielerei, die den kleinen neuen Turbo weniger wie einen kleinen neuen Turbo wirken lassen soll, nennt sich Dynamic Boost-Funktion. Selbst wenn man – beispielsweise vor der Kurve – vom Gas geht, hält sie den Ladedruck weiterhin oben. Wieder drauf aufs Gas, der Turbo muss nicht erst “hochladen”, und quasi verzögerungsfrei pfeilt sich das Auto aus jeglichem Eck.
Wahnsinnige Fahrleistungen
Das tut es nicht nur auf dem Papier deutlich schneller als bisher. Die Fahrleistungen haben sich mit der Verkleinerung des Motors extrem gemausert: Von “überaus ansehnlich” zu “Oh mein Gooott!”, um genau zu sein. Ja, der 718 ist ein schnelles Auto. Ein sehr schnelles Auto. Egal, ob man im Boxster S oder – und das ist neu – im normalen Boxster sitzt. 0-100 km/h passieren jetzt im Bestfall (Doppelkupplung, Sport-Chrono-Paket) in 4,7 und 4,2 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 275 beziehungsweise 285 km/h. Na gut, aufgrund des geringeren Hubraums und eines etwas größeren Laders (statt mehr Hubraum sowie zweier winzig kleiner Föhns im neuen Carrera) fühlt sich der 718 Boxster irgendwie zwangsbeatmeter an als sein großer Bruder. Aber im Prinzip kann man auf die Mini-Gedenksekunde wirklich pfeifen, weil es danach nur noch drei Sachen gibt: Schub, Schub und … äh ja … Schub. Und die Sache mit dem Charakter? Das Unverwechselbare des Zuffenhausener Sechszylinders? Wie sich bei 4.500 – 5.000 Touren alle Schleusen öffnen und die Drehzahlnadel in Begleitung eines mörderischen Kreischens durch die Decke geht?
Länger stärker
Nun, also: Ein wenig umgewöhnen müssen Sie sich als erfahrener Porsche-Crack freilich schon. Über weite Teile des Drehzahlbandes ist deutlich mehr Leben in der Bude als vorher, auf Zuckungen des rechten Fußes wird nach wie vor auf sehr kurzem Dienstweg reagiert und auch Richtung Drehzahlgrenze (die übrigens auch mit Turbo bei 7.500 U/min liegt) ist die Motivation der vier Töpfe noch mehr als ordentlich. Das typische Feuerwerk, das der abgelöste Sechszylinder über 5.000 Umdrehungen zu zünden vermochte, geht jedoch ein wenig ab. Naja, und dann wäre da noch das Thema mit dem Klang. Ja, seltsamerweise beschäftigt es unglaublich viele Menschen. Ja, Porsche hat wahnsinnig viel Aufwand betrieben. Ja, teils sogar mit etwas semi-künstlicher, elektromagnetischer Resonanz-Hilfe in den Innenraum. Und nein, so richtig prickelnd herzerwärmend klingt das alles trotzdem nicht.
Klang? Etwas enttäuschend
Ich durfte mich sowohl mit dem Boxster als auch dem Boxster S verdingen. Beide hatten die optionale Sport-Abgasanlage intus. Beide hauten mit dem Schlüsseldreh einen Krawall-Schwall in die Umgebung, der einen förmlich aus dem Sportsitz riß. Fast so, als wolten sie sich für den Vierzylinder mit besonders viel Tamtam entschuldigen. Danach wird es tief. Richtig tief. Mit einem fast schon massierenden Brabbel-Dröhnen irgendwo zwischen Käfer und Subaru, das obenraus eher noch dröhniger als schöner wird. Es ist in keinster Weise grauenvoll und Boxer-Freunde werden sich über das deutlich gesteigerte “Geboxere” (Stichwort: Walnüsse in der Waschmaschine) womöglich sogar freuen. Aber das sexy-heiser-kehlige Sechszylinder-Sauger-Röcheln ist Geschichte. Der 718 Boxster hat mit den neuen Vierzylindern in allen meßbaren Bereichen deutlich gewonnen: Er ist mehr als spürbar schneller und dabei jeweils fast einen Liter sparsamer geworden (im Test waren es laut Bordcomputer zwischen neun und zehn Liter). Dass er damit charakterlich etwas weniger Porsche und etwas mehr wie alle anderen ist, ist eine Begleiterscheinung, mit der man wohl dennoch ganz gut leben kann.
Mehr Fokus und mehr Komfort
Vor allen Dingen, weil auch der 718 Boxster fahrdynamisch eine absolute Wucht ist. Die Chassis-Balance war schon immer die große Stärke des kleinen Porsche-Roadsters. Dank neuer Dämpfer, gleich zwei neuer, adaptiver PASM-Fahrwerke (mit zehn oder im Boxster S mit 20 Millimeter Tieferlegung), der direkter ausgelegten Lenkung aus dem 911 Turbo, einer verstärkten und versteiften Hinterachse, breiterer Hinterräder sowie größerer Bremsen geht hier jetzt noch mehr als ohnehin schon. Die Nordschleife-Zeit verbessert sich laut Porsche um irrsinnige 16 Sekunden auf nicht weniger irrsinnige 7:42 Minuten. Das ist Cayman-GT4-Niveau. Der 718 wirkt noch fokussierter, liegt noch satter und ist dennoch komfortabler. Ehrlich gesagt ist es ziemlich sensationell, wie gelassen er nun selbst mit den optionalen 20-Zöllern auch übelste Straßen glattbügelt. Die Lenkung ist ein wenig schneller, toll gewichtet und noch ein Eck präziser. Das letzte Wort in Sachen Gefühl ist auch hier noch nicht gesprochen, aber insgesamt weiß man schon sehr gut, was da unter einem gerade so passiert.
Spaß in alle Richtungen
Durch das gewaltige Drehmoment ist es nun – bei aller Traktion, die der Boxster aufbaut – außerdem leichter, das Heck zum Auskeilen zu bewegen. Ein Zustand, der durch den neuen ESP-Sportmodus fast schon ins Komikhafte gezogen wird, ohne für schweißnasse Hände zu sorgen. Die neue Zwischenstufe des Stabilitätsprogramms lässt einem wirklich erstaunlich viel Blödsinn durchgehen, bevor sie irgendwann eingreift. Ein großer, großer Spaß. Apropos: In Verbindung mit dem wie immer teuflisch guten PDK-Getriebe gibt es nun auch im 718 Boxster den weitgehend sinnfreien, aber äußerst launigen Sport Response Button. Zusammen mit dem neuen Fahrdynamik-Rädchen, über das sich die Modi Normal, Sport, Sport Plus und Individual einstellen lassen, sitzt er rechts unten im neuen 360-Millimeter-Lenkrad. Wer ihn drückt, veranlasst Motor und Getriebe für 20 Sekunden zu einer Art Tabula-Rasa-Nummer, die recht hilfreich sein kann, wenn man sieben Autos am Stück überholt und merkt, dass es langsam eng wird mit dem Platz.
Ab 53.646 Euro
Spielereien hin oder her, letztlich ist der Boxster auch mit vier Zylindern so gut wie alles, was man sich in dieser Klasse nur wünschen kann. Das neue Blechkleid (lediglich die beiden Hauben sowie das Dach wurden übernommen) macht ihn schneidiger und irgendwie seriöser, auch wenn man über die schwarze Leiste und den monströsen Porsche-Schriftzug zwischen den Rückleuchten sicher etwas streiten kann. Innen gibt es das neue und endlich richtig gute Navi-Infotainmentsystem und trotz der richtigen Menge Roadster-Puristik mehr Qualität und Komfort als irgendwo sonst in diesem Segment. Die Preise für den Porsche 718 Boxster starten bei 53.646 Euro. Der 718 Boxster S kostet mindestens 66.141 Euro. Das sind gut 2.700 beziehungsweise 3.700 Euro mehr als bisher. Der Marktstart für den gelifteten Boxster ist Ende April 2016. Und sollten Sie es dennoch mit der Wehmut zu tun bekommen: Limitierte Topmodelle wie der Spyder werden wohl auch künftig einen Sechszylinder in ihrer Mitte tragen.
(sw)
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