Berlin, 6. April 2016
Der Tiguan ist laut VW neben Golf, Passat und Polo die wichtigste “Produktsäule” der Marke Volkswagen. Das zeigt, welchen Stellenwert das jährlich rund 60.000 Mal in Deutschland verkaufte Kompakt-SUV inzwischen im Produktportfolio hat. Wir haben die zweite Generation getestet, die Ende April 2016 startet.
Größer und auf MQB-Basis
“Proportionen sind alles”, lautet das Credo von VW-Designchef Klaus Bischoff. Und gerade da hatte der alte Tiguan Schwächen: Von der Seite aus gesehen sah er immer etwas seltsam aus, er war zu hoch für seine Länge. Der neue Tiguan kann es dank Modularem Querbaukasten (MQB) nun besser machen. Dieser ermöglicht kurze Überhänge und einen langen Radstand. Das Auto ist nun sechs Zentimeter länger und misst 4,49 Meter, der Radstand wuchs um knapp acht Zentimeter. Zudem ist der Wagen nun niedriger und breiter. Optisch ebenfalls positiv: Der leichte Speckansatz an der C-Säule ist verschwunden. Nach wie vor gibt es eine stadtfeine Version und eine mit mehr Offroad-Optik, doch der Unterschied zwischen den beiden ist geringer als bisher.
Höhere “Bordwand”
Innen fällt die höhere “Bordwand” auf: Der Tiguan folgt dem Designtrend zum Badewannen-Auto, in dem oft nur noch der Kopf des Fahrers über den “Wannenrand” hinausguckt. Nach diesem ersten Eindruck und kurzem Umherirren mit der Fingerspitze finde ich den Startknopf in der Mittelkonsole. Ohne jede Rauheit springt der Diesel an. Mein Testwagen hat den 150-PS-Diesel in Kombination mit Allradantrieb und DSG. Insgesamt werden vier Benziner und vier Diesel für den Tiguan angekündigt, neben Allradantrieb gibt es auch wieder Frontantrieb und Schaltung oder DSG.
Beschleunigung: Annehmbar, nicht begeisternd
Der 150-PS-Diesel beschleunigt meinen Wagen annehmbar – mitunter stellt sich durch das hohe Drehmoment von 340 Newtonmeter sogar etwas Fahrspaß ein. Den Spritverbrauch beziffert VW mit 5,6 Liter – kein sehr guter Wert, ein entsprechender BMW X1 ist mit 4,7 Liter angegeben. Beim Spritsparen hilft weder das DSG als solches noch der siebte Gang, denn der gleiche Wert von 5,6 Liter gilt für die Version mit Sechsgang-Schaltung. Einen Unterschied macht aber der Allradantrieb, er schluckt fast einen Liter mehr als der Frontantrieb. Mein Bordcomputer zeigt nach der Fahrt im städtischen Umfeld einen Verbrauch von 6,8 Liter an, also etwa 20 Prozent mehr als laut Datenblatt. Die Euro-6-Norm wird durch einen SCR-Katalysator eingehalten. Der dazugehörige Adblue-Tank fasst 12 Liter, was je nach Fahrweise für 8.000 bis 15.000 Kilometer reichen soll.
Wirkt sehr mächtig
Schon auf den ersten Metern wirkt der Wagen sehr mächtig, nicht mehr wie ein Golfklasse-Derivat, sondern solider, aber auch schwerer und schwerfälliger. Dabei soll das Auto trotz gewachsener Dimensionen einige Kilo leichter geworden sein. Und tatsächlich: Meine Tiguan-Motorisierung ist mit 1.673 Kilo Leergewicht angegeben, die alte Version wog 1.711 Kilo. Das sind freilich immer noch fast 150 Kilo mehr, als ein entsprechender Golf Variant (mit ähnlich viel Innenraum) wiegt.
Angenehmes Fahrwerk
Das Tiguan-Fahrwerk bietet selbst auf grobem Kopfsteinpflaster noch guten Fahrkomfort, und zumindest in städtischer Umgebung fällt keine unangenehme Wankneigung auf. Das gilt für die Normal-Einstellung der optionalen adaptiven Dämpfer, bei denen jetzt mehr Unterschied zwischen Comfort und Sport zu spüren ist als bisher. Einen speziellen DCC-Knopf für die Dämpfereinstellung gibt es nicht, die Fahrcharakteristik wird bei meiner Allradversion über das neue “Active Control”-Drehrad in der Mittelkonsole eingestellt. Es bietet Betriebsarten für Straße, Schnee, Offroad und einen individuell einstellbaren Offroadmodus. Beeinflusst werden vor allem Lenkung, Dämpfer, ESP, DSG und Gaspedal. Möchte man die Elemente einzeln einstellen, drückt man auf den “Mode”-Knopf in der Mitte des Drehrads, dann erscheinen im Mitteldisplay die entsprechenden Optionen.
Prächtiges Active Info Display
Im Cockpit fällt das prächtige “Active Info Display” auf, das mich seit seiner Einführung im Audi TT (als “Virtual Cockpit”) begeistert. Seine Brillanz ist immer wieder überwältigend, und im Tiguan kostet es auch nur 510 Euro – das sollte man sich gönnen. Etwa den gleichen Aufpreis zahlt man für eine weitere Tiguan-Neuheit: das Head-up-Display. Es ist von der günstigen Sorte, besteht aus einer kleinen ausfahrbaren Plexiglasscheibe, auf der Tempo und die Navi-Pfeile erscheinen. Chromakzente gibt es im Cockpit nur wenige, aber der Qualitätseindruck stimmt. Höchstens das nicht ganz so hochwertige Hartplastik, aus dem der untere Teil des Armaturenbretts besteht, enttäuscht ein wenig.
Variable Sitzanlage
Die Vordersitze geben guten Seitenhalt. Was auffällt: Der Testwagen hat am Fahrersitz ein Einstellrad für die Lehne, während der Beifahrer die Neigung per Hebel verstellen muss. Grund für diese Ungerechtigkeit: Mein Auto hat eine umklappbare Beifahrersitzlehne, die das Einladen von langen Gegenständen ermöglicht. Damit sind wir beim Kapitel Innenraumvariabilität, und hier verdient der Tiguan besonderes Lob: Als eines von ganz wenigen SUVs (ich kenne sonst nur den BMW X1) hat der Tiguan eine verschiebbare Rückbank. Durch das um 18 Zentimeter längs verrückbare Möbel kann man Fond- und Kofferraum je nach Transportbedarf anders gewichten. Sitzen hinten Erwachsene, darf die Bank nicht ganz nach vorn geschoben werden, sonst bleibt zu wenig Platz für die Knie. Deshalb sind die von VW angegebenen Werte von gigantischen 615 bis 1.655 Liter mit Vorsicht zu genießen, denn die beziehen sich auf die vorderste Bankposition. Aber auch wenn die Bank ganz hinten ist, bleiben noch überragende 520 Liter Kofferraum. Ein weiteres Plus ist die hohe Anhängelast: Meine Tiguan-Version ist für gebremste Hänger bis zu 2,5 Tonnen zugelassen – der entsprechende BMW X1 darf nur 1,8 Tonnen ziehen.
Ab knapp 34.000 Euro
Der Tiguan 2.0 TDI 4Motion DSG kostet in der Basisversion Trendline 33.925 Euro. Die Ausstattung ist ausreichend: 17-Zoll-Aluräder, die verschiebbare Rückbank, ein Antikollisionssystem mit Fußgängererkennung, ein Spurhalteassistent, eine aktive Motorhaube zum Fußgängerschutz, Licht- und Regensensor, Klimaanlage und ein Radio mit Fünf-Zoll-Monochromdisplay gehören dazu. Viele Extras sind aber nur für die höheren Ausstattungen Comfortline und Highline bestellbar, so auch das Head-up-Display und das Active Info Display. Zum weiteren Hightech-Angebot gehören LED-Scheinwerfer mit Maskierung des Gegenverkehrs, der Anhängerassistent Trailer Assist, eine sensorgesteuerte Heckklappe (nur fürs Öffnen, nicht fürs Schließen), ein Abstandstempomat, ein Fahrersitz mit Massagefunktion, eine Verkehrszeichenerkennung und ein 360-Grad-Kamerasystem zum Rangieren. Preislich liegt der Tiguan 2.0 TDI 4Motion DSG etwa erwartungsgemäß: Ein entsprechender Kia Sportage oder Hyundai Tucson ist etwa einen Tausender günstiger, der entsprechende Ford Kuga um 1.500 Euro. Dagegen kostet ein Mazda CX-5 wegen seiner guten Basisausstattung 1.400 Euro mehr, ein BMW X1 sogar runde 2.000 Euro.
(sl)
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