Lada Granta im Test: Temperamentvoller Billig-Flieger

December 30, 2013

Der Lada Granta wird seit 2011 gebaut, fand aber erst im Jahr 2013 auf den deutschen Markt

Der Lada wirkt hochbeinig, die 14-Zoll-Felgen mit den hohen Reifen etwas klein

Die große Bodenfreiheit und die langen Federwege sind dem Straßenzustand seiner Heimat zu verdanken

München, 30. Dezember 2013
Lada galt in der DDR als Premiummarke. Trotz hoher Preise und langen Wartezeiten waren die Autos sehr begehrt. Nach der Wende ging es abwärts. Inzwischen spielt die Marke auf dem deutschen Markt nur noch eine sehr kleine Rolle. Der Lada Granta, der in Zusammenarbeit mit Renault/Nissan entstand, wird seit 2011 produziert, kam aber erst kürzlich auf den deutschen Markt. Wir waren mit ihm unterwegs.

Am Anfang Gefummel
Der Volksmund sagt, für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Wenn das tatsächlich stimmen würde, hätte der Lada Granta schon ganz am Anfang verloren. Es ist dunkel, kalt, es regnet, und die hakeligen Türschlösser in Verbund mit dem kleinen Schlüssel verzögern den Einstieg um ein paar unwillkommene Momente. Eine Fernbedienung gibt es selbstredend nicht. Mit etwas Gefummel klappt es schließlich. Die Tür fällt ins Schloss, damit erlischt augenblicklich auch das Licht. Zum Glück ist im Granta alles genau dort, wo auch ein Lada-Neuling es erwartet. Egal ob Licht, Lüftung, Scheibenwischer: Wer für dieses Auto eine Anleitung braucht, hat vermutlich auch Schwierigkeiten mit dem Öffnungsmechanismus eines normalen Kühlschranks. Der Blinker klingt allerdings derart aufdringlich-synthetisch, dass man schnell dazu übergeht, ihn möglichst sparsam einzusetzen.

Raum für Verbesserungen
Der Innenraum ist natürlich nichts für Fans gehobenen Ambientes, was in dieser Klasse kein Vorwurf ist. Alles ist mit Hartplastik ausgeschlagen, selbst in den Türverkleidungen findet sich kein Fetzen Stoff – nun gut, das war im bis 2010 gebauten Ford Focus meist auch so. Doch die Lada-Verarbeitung lässt verschwenderisch viel Raum für Verbesserungen. Die wackelige Handbremse hat zwar einen langen Hebelweg, blockiert aber schon auf dem dritten Zahn. Ihr Hebel selbst ist unten mit etwas Kunststoff verkleidet, der mit Schrauben im Bodenblech fixiert ist. Das Lenkrad besteht aus glattem Plastik und fasst sich ähnlich angenehm an wie Leberwurstpelle, seine Nabe schleift sporadisch an der Lenksäulenverkleidung. Die offensichtlich nachträglich eingebauten Boxen von Blaupunkt sind kleiner als der dafür vorgesehene Platz. Im Testwagen waren sie zudem schief montiert. Auch bei den Teppichen wurde gespart: Auf dem Radhaus links neben dem Kupplungspedal, wo viele gern den Fuß ablegen, zeigte der Teppich schon erste Falten – bei einem Kilometerstand von knapp 6.000 wohlgemerkt. Insgesamt unterbietet der Lada alle von uns gefahrene Dacia um ein gutes Stück, was die Verarbeitung betrifft.

Viel Platz
Doch der Lada kann auch einige Pluspunkte verbuchen. Seine Türen schließen satt und öffnen weit. Klappergeräusche sind so gut wie nicht vorhanden. Die Stufenhecklimousine ist mit 4,26 Meter nur so lang wie ein VW Golf. Trotzdem fasst der Kofferraum stolze 480 Liter, dem dicken Hintern sei Dank. Öffnen lässt er sich von außen leider nur mit dem Schlüssel, innen gibt es unterhalb des Lichtschalters einen kleinen Knopf dafür. Die Ladekante ist niedrig und der Stauraum selbst gut zu nutzen, denn er ist glattflächig ohne störende Winkel oder Ecken. Die dünn gepolsterten Sitze geben nur wenig Halt, in Kurven wie auch im Lendenwirbelbereich. Und sie lassen sich in der Höhe nicht verstellen.

Gewaltige Neigung
Über das Design wollen wir nicht allzu viele Worte verlieren, darüber mag jeder allein urteilen. Der Russe ist etwas hochbeinig, die kleinen 14-Zoll-Räder lassen reichlich Abstand zu den Radhäusern. Beides ist Absicht, denn auf russischen Straßen machen sich eine großzügige Bodenfreiheit und lange Federwege gut. Die Seitenneigung in flott durcheilten Kurven ist gewaltig, was am weich abgestimmten Fahrwerk liegt. Gröbere Verwerfungen des Untergrunds gleicht der Lada gut aus, nur kurze Unebenheiten werden nicht so gekonnt geschluckt. Für neu homologierte Fahrzeuge ist ESP seit November 2011 Pflicht, der Lada bringt es also mit.

Schlechtes Steuer
Die Lenkung ist eine der größten Schwachpunkte. Besonders um die Mittellage ist sie ungenau und bietet hier zudem kaum Rückstellkräfte. Der Fahrer ist eigentlich permanent am Korrigieren, was den Spaß merklich einschränkt. Dazu kommen starke Antriebseinflüsse: Gibt man kräftig Gas, bäumt sich der Vorderwagen auf und die Lenkung wird unangenehm “leicht”. Wer es übertreibt, muss mit einem ausbrechenden Vorderwagen rechnen. Die Bremsen sind standfest, aber nur bescheiden zu dosieren. Insgesamt verleiten weder die Fahrwerksabstimmung noch die Lenkung dazu, Grenzen auszutesten.

Antrittsstark
Zu den besten Seiten im Lada gehört der 1,6-Liter-Vierzylinder. Er leistet 87 PS bei 5.100 U/min und bietet ein maximales Drehmoment von 140 Newtonmeter bei 3.800 U/min. In nur 11,8 Sekunden soll er den 1.135 Kilo schweren Russen aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen – so wie er antritt, glauben wir das gern. Die Maschine ist zwar nicht besonders durchzugsstark, aber sehr drehfreudig. An einem Ortsausgang drängelte ein Audi-A3-Fahrer, der sich im Anschluss ganz schön strecken musste, um an dem Granta halbwegs dranzubleiben. Die Leistung reicht also stets aus, viele Lada-Fahrer wären vermutlich auch mit weniger zufrieden.

Singende Töne
Der Verbrauch bewegt sich je nach Temperament des Fahrers zwischen sieben und acht Litern. Das leichtgängige, kurz übersetzte Fünfgang-Getriebe unterstützt den Motor mit passender Abstufung, allerdings wünscht man sich spätestens ab 110 einen zusätzlichen Gang. Denn der Motor übertönt die Abroll- und Windgeräusche nochmals, was durchaus nicht einfach ist. Besonders beim Beschleunigen dröhnt und wummert die Maschine jedoch viel lauter, als es sich ein halbwegs modernes Auto erlauben sollte. Zum Konzert gehören auch singende Töne aus dem Getriebe, was den Glauben an eine ausdauernde Haltbarkeit irgendwie belastet.

Lange Garantie nur für “Nobelversion”
Über viele der genannten Schwächen könnte man hinwegsehen, schließlich bieten nur wenige Neuwagen für den Preis des Lada so viel Platz. Die spärlich ausgestattete Basisversion “Norma” kostet 8.990 Euro, doch wenn überhaupt, raten wir zur namenlosen “Nobelvariante” für 9.990 Euro. Dabei geht es weniger um Zentralverriegelung, elektrische Fensterheber oder von innen verstellbare Außenspiegel, die der spartanischen Basis fehlen. Doch für sie hat Lada nur eine zweijährige Garantie im Angebot. Die teurere Version ist mit drei Jahren auf Funktion und sechs Jahren Garantie gegen Durchrostung ausgestattet. Allein das sollte auch dem sparsamsten Käufer die 1.000 Euro Aufpreis wert sein.

Vergleichsweise teuer
Bevor diese Überlegungen eine Rolle spielen, sollte der Interessent aber die Entscheidung für den Lada nochmals gründlich durchdenken. Bei Dacia gibt es für ähnliches Geld einen geräumigen Kombi, der auch mit einer Klimaanlage ausgestattet werden kann – im Lada fehlt die Option. Finster wird es für den Granta, wenn man sich für rund 10.000 Euro auf dem Gebrauchtwagenmarkt umsieht. Dort gibt es für dieses Geld moderne Fahrzeuge, die sich wesentlich besser fahren als der Russe.
(mf)

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