Bilbao (Spanien), 23. Mai 2014
Große Freude im Hause BMW Nummer Vier: Stolz verkünden 4er Coupé und 4er Cabrio die Geburt ihres Nachwuchses, des Gran Coupé. Gerade als wir zur Frage “Bitte was?” ansetzen wollen, gesellt sich der Taufpate in Gestalt des 6er Gran Coupé hinzu. Er ist unzweifelhaft das Vorbild für den kleineren Verwandten. Trotzdem stellen sich einige Fragen: Ist der Neuling der schönere 3er? Der praktischste 4er? Und vor allem: Ist die Marktlücke groß genug?
Gemeinsame Grundlage
BMW sieht sie, sonst gäbe es es das 4er Gran Coupé nicht. Gewiss wird sich so mancher fragen: Braucht es das? Aber offenbar giert die Kundschaft nach individuellen Lösungen. Zumindest optisch eigenständig, denn unter der Karosserie des viertürigen 4ers steckt die Technik der 3er- und 4er-Reihe. Ein Vergleich der technischen Daten klärt auf: Sowohl 4er Coupé als auch 4er Gran Coupé sind mit 4,64 Meter gleich lang, auch die Breite stimmt überein. Lediglich in der Höhe ist der Zweitürer um drei Zentimeter niedriger. Macht Sinn, denn dort sind die Mitfahrer im Fond eher zweitrangig. Beim Radstand ist die auf den ersten Blick ähnlich wirkende 3er Limousine mit 2,81 Meter gleichauf. Allerdings ist sie etwas kürzer und vier Zentimeter höher als das 4er Gran Coupé.
Don`t call it Schrägheck
Es gibt sogar eine Gemeinsamkeit mit dem deutlich üppigeren 3er GT und zwar die große Heckklappe. Wer jetzt laut “Fließheck-4er” brüllt, macht sich bei BMW ziemlich unbeliebt. Nur ist das Gran Coupé streng genommen natürlich auch kein Coupé, rahmenlose Seitenscheiben hin oder her. Merke: Jede Nische braucht nur den passenden Namen. Wir würden für “sportlich-elegantes Fahrzeug mit vier Türen und Coupénote” plädieren, kurz “SEFVTC”. Sollte man sofort nach München faxen, wo man vermutlich längst nach weiteren Lücken im Modellprogramm sucht.
Reise, Reise
Dort sitzt Karim Habib, der Chefdesigner der Marke BMW. Er sagt, die Proportionen seien sehr wichtig. So gesehen, haben Habib und sein Team ihre Aufgabe gut gelöst. Zu Diskussionen regt nur die Heckpartie an. Bedingt durch die große Klappe ist der hintere Überhang recht kurz. Eine stufenheckähnlichere Lösung wie beim 6er Gran Coupé hätte aus unserer Sicht mehr Eleganz. Aber sie wäre weniger praktisch: Zwischen 480 und 1.300 Liter Gepäck gehen in das 4er Gran Coupé hinein. Sehr ordentlich, zumal vor dem Hintergrund des 4er Coupé (445 Liter), der 3er Limousine (480 Liter) und des 3er GT (520 bis 1.600 Liter).
Figurbetonter Anzug
Weil das Cockpit ein alter Bekannter ist, widmen wir uns vor allem dem Fond. Wie sitzt es sich hinten? Etwas Gelenkigkeit sollte beim Einstieg schon vorhanden sein. Also Kopf einziehen und sich tief in die Polster fallen lassen. Oder haben Sie ein SUV erwartet? Im 4er Gran Coupé ist das Raumangebot für die hinteren Insassen auf Maß geschneidert. Allzu viel Platz bleibt über dem Kopf und für die Beine nicht, aber es lässt sich aushalten. Äußerst mau fällt hingegen die Sicht nach hinten aus. Sowohl das schmale Heckfenster als auch das zusätzliche dritte Seitenfenster lassen mehr Licht hinein als Sicht hinaus. Deshalb wird die 910 Euro teure Kombination aus Parkpiepsern hinten und einer Rückfahrkamera zur Zwangsabgabe.
Vier gleich sechs?
Nun werden Käufer eines 4er Gran Coupé wohl kaum jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Zumal, wenn sie sich für den von uns getesteten 428i entscheiden. Von der Bezeichnung her ein Etikettenschwindel: Unter der Haube arbeitet ein doppelt aufgeladener Vierzylinder mit zwei Liter Hubraum. Er leistet 245 PS, ein Wert, der früher Sechszylindern vorbehalten war. Wir hören schon diejenigen, die den Verfall der alten BMW-Werte anprangern. Meistens sind diese Leute aber noch nie einen BMW-Reihensechser gefahren. Außerdem gibt es den alternativ im 435i, weshalb man den Ball flach halten kann.
Eine Frage der Note
Den 428i und den 435i trennen in der Leistung zwar 61 PS, in anderen Bereichen fällt der Unterschied deutlich geringer aus: Beim Drehmoment sind es 50 Newtonmeter weniger, bei der Beschleunigung auf 100 km/h zwischen 0,6 und 0,8 Sekunden. Im Gesamteindruck präsentiert sich der 428i als sehr laufruhiger Motor, der ausgezeichnet mit der serienmäßigen Achtgang-Automatik harmoniert. Ohne erkennbares Turboloch stürmt das 4er Gran Coupé ab 1.250 Umdrehungen vorwärts, die Windgeräusche bleiben im Hintergrund. Und der Klang? Beim starken Tritt aufs Gaspedal hört sich der 428i kernig an und versucht nach Kräften, eine Sechszylinder-Note hineinzubringen. Lieber dieses Aggregat als den extrem gedämmten 435i, dessen sechs Töpfe man auch erst mit Bleifuß zum Singen bekommt.
Minus mit Bonus
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf den Verbrauch. Schließlich ist er das Hauptargument für das Minus an Zylindern. Unser BMW 428i Gran Coupé war mit M-Paket und 19-Zöllern ausgerüstet. Im Comfort-Modus führte die Teststrecke 134 Kilometer über Autobahn (Limit 120 km/h) und durch die Stadt. Ergebnis: 8,1 Liter, ein respektabler Wert in Anbetracht der Leistung unter der Haube, obwohl er 1,8 Liter über dem Normverbrauch liegt.
Abstands-Regelung
Beim Preis ruft BMW für das 4er Gran Coupé und das 4er Coupé exakt den gleichen Preis auf. Im Fall des 428i mit Automatik sind das 43.250 Euro. Eine 328i Limousine liegt 3.100 Euro darunter, hat aber nicht den Serienumfang wie das 4er Gran Coupé. Bereinigt sinkt die Differenz auf gut 1.800 Euro. Vom Konzept her vergleichbar ist der Audi A5 Sportback: Als 2.0 TFSI quattro mit 225 PS kostet er 41.450 Euro. Aber die Entscheidung zwischen ihm und dem 4er Gran Coupé wird vermutlich nicht im Portemonnaie entschieden, sondern im Auge des Betrachters.
(rh)
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